»Wir wollen zu einer Annäherung beitragen«

Gespräch mit Elizabeth Salguero Carrillo, Botschafterin des Plurinationalen Staates Bolivien in der Bundesrepublik Deutschland

Boliviens Präsident Evo Morales hat öffentlich die Entschuldigung der europäischen Regierungen akzeptiert, die seinem Flugzeug Anfang Juli die Überflugrechte verweigert hatten. Sind damit alle Probleme beseitigt?

Er hat bei einer Pressekonferenz am 24. Juli die von den Regierungen Frankreichs, Spaniens, Italiens und Portugals ausgesprochenen Entschuldigungen für die Luftblockade angenommen, um die Beziehungen mit diesen Ländern beibehalten zu können. Die zu Konsultationen zurückgerufenen Botschafter Boliviens werden somit in ihre jeweiligen Vertretungen zurückkehren. Aber die Regierung ist nicht ganz zufrieden mit diesen Entschuldigungen. Deshalb hat sie eine internationale Kommission vorgeschlagen, die untersuchen soll, wer die Blockade des Präsidenten autorisiert hat und welches die Gründe dafür waren, daß in so offensichtlicher Weise internationale Verträge verletzt worden sind.

 

Präsident Morales hat außerdem in Montevideo beim Gipfeltreffen des MERCOSUR, des Gemeinsamen Marktes des Südens, am 12. Juli vorgeschlagen, die US-Regierung vor internationalen Gerichten zu verklagen – als Reaktion auf die Enthüllungen der Spionage gegen verschiedene Länder Lateinamerikas und der Welt. Diese mögliche Klage gegen die US-Regierung wegen der Spionage und ihrer möglichen Beteiligung an dem Luftzwischenfall hat der Präsident dem MERCOSUR überlassen, dessen Vorsitz Venezuela zur Zeit hat.

Als Reaktion auf diesen Zwischenfall fand in der vergangenen Woche in Cochabamba ein »Gipfeltreffen der Völker gegen Imperialismus und Kolonialismus« statt. Was war das Ziel dieses Treffens?

Dieses antikapitalistische und antikolonialistische Treffen fand vom 31. Juli bis 2. August unter Beteiligung zahlreicher sozialer Organisationen aus Bolivien und ausländischer Delegationen statt. Ziel war es, ausgehend von dem Vorgehen gegen das Flugzeug des Präsidenten, eine Politik zur Sicherstellung der Menschenrechte und der Immunität der Autoritäten zu entwickeln. Zudem wurden verschiedene Themen im Zusammenhang mit der politischen Souveränität diskutiert: Wie können Lateinamerika und die Völker der Welt die Einhaltung der internationalen Menschenrechtsverträge, aber auch die diplomatische Immunität, durchsetzen? Denn das, was bei dieser Aggression geschehen ist, hat Abkommen verletzt, für die die Menschheit 50 Jahre gebraucht hat.

Außerdem wurde die Präsenz transnationaler Konzerne in Lateinamerika diskutiert und welche positiven oder negativen Auswirkungen sie hat. Und schließlich ging es um die Integration der Regierungen und sozialen Bewegungen gegen die imperialistische Politik.

Am heutigen Dienstag stellen Sie in Berlin die Übersetzung der neuen bolivianischen Verfassung vor. Warum gibt es eine deutschsprachige Ausgabe?

Um die strukturellen Veränderungen, die Bolivien erlebt, verstehen zu können, ist es wichtig, die neue Verfassung zu kennen. Deshalb haben wir den Text übersetzt, um zu einer weiteren Annäherung unserer Länder beizutragen und um darauf hinzuarbeiten, daß die Behörden, sozialen Organisationen und Bürger in Deutschland die Prinzipien und Grundlagen unserer demokratischen und kulturellen Revolution kennenlernen.

Die neue Verfassung etabliert Bolivien als Plurinationalen Staat anstelle einer Republik. Warum?

Dieser Plurinationale Staat wurde 2009 geboren, als das bolivianische Volk in einem Referendum die neue Verfassung annahm. In ihr werden die Menschenrechte der die Mehrheit ausmachenden, aber historisch ausgegrenzten Schichten der Bevölkerung anerkannt: Gemeint sind vor allem die indigenen Völker und die Frauen. In diesem Sinne erkennt der Staat die Vielfalt und die Rechte der 36 Völker an, die in Bolivien leben. Jedes von ihnen erarbeitet seine Statuten selbst. Ihre Autonomie stützt sich auf die freie Selbstbestimmung, wie sie in Artikel 289 der Verfassung festgelegt ist.

Erschienen am 6. August 2013 in der Tageszeitung junge Welt