»Wir fühlen keinen Haß«

Gespräch mit Aminatou Haidar, Menschenrechtsaktivistin aus der Westsahara

Seit Jahrzehnten leisten die Sahrauis gewaltfreien Widerstand gegen die marokkanische Besatzung. Fortschritte gibt es aber praktisch nicht. Wie lange halten Sie diese Form des Widerstands durch?

Das ist eine große Sorge, die wir Aktivisten haben. Die Jugendlichen rufen immer mehr danach, wieder zu den Waffen und zur Gewalt zu greifen. Sie glauben, daß dies der einzige Weg ist, damit die internationale Gemeinschaft aufmerksam wird. Dabei sind wir ein friedliches Volk, und ich möchte nicht, daß das, was in Syrien und in anderen arabischen Ländern vor sich geht, auch auf uns übergreift. Aber die sahrauische Jugend glaubt nicht mehr an den friedlichen Weg, sie ist ohne Hoffnung und die ständige Unterdrückung leid. Zugleich versucht das marokkanische Regime durch den Einsatz seiner Milizen, einen Bürgerkrieg zwischen unseren beiden Völkern zu provozieren. Wir fühlen jedoch keinen Haß gegen das marokkanische Volk. Es ist nicht dafür verantwortlich, was wir erleiden müssen.

 

Könnte ein Boykott wie seinerzeit gegen südafrikanische Waren nun gegen marokkanische eine Unterstützung Ihres Kampfes sein?

Als Menschenrechtsaktivistin wünsche ich dem marokkanischen Volk nichts Schlechtes. Durch einen Boykott würden sich dessen Lebensumstände verschlechtern. Wir müssen endlich dazu kommen, daß die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der Westsahara beendet wird. Die Rolle, die das deutsche Volk und andere in Europa spielen können, ist, Druck auf ihre jeweiligen Regierungen auszuüben, damit die illegale Ausbeutung ein Ende hat.

In der Vergangenheit wurde das sahrauische Volk vor allem von Algerien unterstützt…

Algerien unterstützt auch weiterhin den Freiheitskampf des sahrauischen Volkes. Es hat immer den unterdrückten Völkern geholfen.

Im Dezember finden in Ecuador die 18. Weltfestspiele der Jugend und Studenten statt. Auch eine Delegation des sahrauischen Jugendverbandes UJSARIO wird teilnehmen. Welche Bedeutung hat das Festival für Sie?

Aus der Westsahara werden Jugendliche zu diesem internationalen Forum reisen und ihre Botschaft überbringen. Dieses Festival wird der Stimme der sahrauischen Jugend ein weltweites Echo verleihen. Das ist sehr wichtig.

Bei der Vorbereitung der Weltfestspiele kam es auch diesmal zu Konflikten mit linken Organisationen aus Marokko, die eine Selbstbestimmung der Sahrauis ablehnen …

Leider haben die Parteien in Marokko keine Unabhängigkeit und keine Prinzipien. Unabhängig von ihrer Ideologie hören sie auf die Weisungen des Königshauses. Daran hat auch der sogenannte arabische Frühling nichts geändert, denn in Marokko wurde die demokratische Bewegung unterdrückt, verfolgt und fast ausgerottet. Die Mehrheit der Jugendlichen der Bewegung des 20. Februar sitzt im Gefängnis.

Erschienen am 4. November 2013 in der Tageszeitung junge Welt