Wiederbelebung durch de Maizière

Das von Bundesinnenminister Thomas de Maizière am vergangenen Freitag ausgesprochene Verbot der Internetplattform »linksunten.indymedia.org« hat die Aufmerksamkeit auf das globale Indymedia-Netzwerk gelenkt, zu dem »Linksunten« gehörte. Dabei sind die Glanzzeiten dieser internationalen Initiative längst vorbei.

Indymedia steht als Kurzbezeichnung für die »Independent Media Centers« (IMC). Diese »Unabhängigen Medienzentren« entstanden in der Hochphase der globalisierungskritischen Bewegung Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre. Damals war das World Wide Web für die breite Öffentlichkeit noch ein neues Medium, die Möglichkeiten schienen unbegrenzt.

Am 18. Juni 1999 überraschte ein »Internationaler Aktions-, Protest- und Karnevaltag« die etablierten Medien. Ob in London, Barcelona, Neu-Delhi, San Francisco, Melbourne oder im nigerianischen Port Harcourt, Tausende gingen auf die Straße – mit unterschiedlichen Forderungen, mit unterschiedlichen Aktionsformen, aber über das Internet koordiniert. Es folgten Anfang Dezember 1999 die Massenproteste gegen die Tagung der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle, die zu einem Wendepunkt wurden. Seither können die Herrschenden ihre Gipfeltreffen nicht mehr ungestört abhalten, sondern müssen sich gegen die Beherrschten abschotten – wie zuletzt beim G-20-Gipfel in Hamburg.

Seattle 1999 war auch die Geburtsstunde von Indymedia. Als allererster Eintrag gilt eine Notiz vom 24. November jenen Jahres: »Der Widerstand ist global – eine transpazifische Zusammenarbeit hat diese Webseite hervorgebracht. Das Web verändert dramatisch die Balance zwischen den Medien der multinationalen Konzerne und denen der Aktivisten. Mit nur ein bisschen Code und etwas billiger Ausrüstung können wir eine live automatisierte Webseite einrichten, die im Wettbewerb mit den Konzernen steht. Bereitet euch darauf vor, von der Welle medienmachender Aktivisten in Seattle und rund um die Welt überrollt zu werden, die die wahre Geschichte hinter dem Welthandelsabkommen erzählen.«

In den folgenden Jahren erlebte Indymedia einen rasanten Aufstieg. Lokale Ableger entstanden auf allen Kontinenten, es gab IMC unter anderem in Argentinien und Mexiko, in Neuseeland und im Libanon, in Kenia und Nigeria. 2001 entstand die erste deutsche Version, »de.indymedia.org«. Sie listet nicht weniger als 177 nationale oder lokale Indymedias auf.

Doch die meisten dieser Seiten sind inzwischen abgeschaltet oder wurden seit Jahren nicht mehr aktualisiert. Anders als der euphorische erste Eintrag erwarten ließ, mussten sich die Betreiber der IMC doch einem technischen Wettlauf stellen – und verloren ihn. Die auf Indymedia zur Verfügung gestellten Tools waren bald veraltet – zugleich wurden die Hürden niedriger, für die jeweilige Gruppe oder Kampagne bequem eigene Seiten ins Netz zu stellen. Hinzu kamen »Trolle«, die mit Pöbeleien und Falschinformationen dem Nutzwert der Indymedia-Seiten schadeten. Die ehrenamtlichen Betreiber scheiterten an dem Konflikt, bei der Gewährleistung freier Kommunikation einen Weg zwischen Zensur und Chaos zu finden. Inzwischen haben außerdem viele Initiativen den bequem erscheinenden Weg gewählt, ihre Infos nur noch über Facebook zu verbreiten. Auf der Strecke blieben dabei die ursprünglich erhoffte Vernetzung und die Möglichkeit, sich anonym auszutauschen.

Sorgt de Maizière für einen Neustart? Immerhin hat er geschafft, dass die zentrale Homepage www.indymedia.org zum ersten Mal seit 2013 ihre Startseite erneuert hat – mit Informationen über das Linksunten-Verbot.

Erschienen am 31. August 2017 in der Tageszeitung junge Welt