Westsahara: 40 Jahre Widerstand

In der Westsahara haben in dieser Woche die Feierlichkeiten zu dem seit 40 Jahren begangenen »Tag der nationalen Einheit« begonnen. Das Land an der Westküste Nordafrikas ist zum größten Teil von Marokko besetzt, nur ein kleiner Wüstenstreifen wird von der Befreiungsfront Polisario kontrolliert. Rund 150.000 Menschen leben in Flüchtlingslagern auf dem Staatsgebiet Algeriens.

Am 12. Oktober 1975, als sich ein Ende der spanischen Kolonialherrschaft abzeichnete, hatte die Bevölkerung der Westsahara ihre Entschlossenheit demonstriert, gemeinsam einen eigenen Staat aufzubauen. Die damals erklärte Bereitschaft, auch den bewaffneten Kampf fortzusetzen, war eine Reaktion auf Gebietsansprüche, die von Marokko und Mauretanien erhoben wurden. Tatsächlich marschierte am 6. November die marokkanische Armee in den noch von Spanien besetzten, an Bodenschätzen reichen und strategisch wichtigen Küstenstreifen ein, wurde jedoch zunächst von den Kolonialtruppen Madrids aufgehalten. Eine Woche später teilte der spanische König Juan Carlos – der damals als geschäftsführender Staatschef den in Madrid im Sterben liegenden Diktator Francisco Franco vertrat – das Gebiet auf: Das südliche Drittel wurde Mauretanien zugesprochen, der Norden ging an Marokko. Die sahrauische Bevölkerung wurde übergangen.

Am 26. Februar 1976 zogen die spanischen Truppen aus ihrer Kolonie ab, woraufhin die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) ausgerufen wurde. Zudem nahm die Polisario den bewaffneten Kampf gegen die neuen Besatzer auf. Darauf reagierte Marokko mit grausamen Attacken, vor denen unzählige Sahrauis aus den Städten zunächst in die Wüste und schließlich nach Algerien flohen, wo sie bis heute in Flüchtlingslagern leben. 1979 kam es zu einem Friedensabkommen, in dem Mauretanien auf seine Ansprüche in der Westsahara verzichtete. Doch Marokko reagierte darauf mit Bomben- und Napalmangriffen und annektierte das gesamte Gebiet.

Bis 1991 führte die Polisario einen Guerillakrieg gegen die Besatzer. Dann wurde auf Vermittlung der Vereinten Nationen ein Waffenstillstand vereinbart, der die Durchführung eines von der UNO beaufsichtigten Referendums über den Status der Westsahara vorsah. Bis heute hat diese Volksabstimmung wegen der Blockade durch Marokko nicht stattgefunden. Inzwischen will Rabat von einer Unabhängigkeit der Westsahara nichts mehr wissen und spricht nur noch von einer »begrenzten Autonomie«.

Ermöglicht wird dem Königreich diese Haltung durch seine für die EU und die USA strategisch wichtige Lage. Die marokkanische Armee wird zur Flüchtlingsabwehr an der Grenze zu den spanischen Enklaven Ceuta und Melilla gebraucht. Vor allem aber ist Rabat ein wichtiger Handelspartner europäischer Konzerne. Da sieht man gerne mal darüber hinweg, dass Investitionen in den besetzten Gebieten, die nicht der dortigen Bevölkerung zugute kommen, völkerrechtswidrig sind. Vor allem Frankreich hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder als wichtigster Unterstützer des marokkanischen Königshauses hervorgetan, aber auch Spanien kollaboriert mit Rabat. So wurde in dieser Woche ein sahrauischer Menschenrechtsaktivist, der in Spanien Asyl beantragt hatte, festgenommen. Nach Informationen des Onlineportals Resumen Latinoamericano droht ihm die Abschiebung nach Marokko. »Dort erwarten mich Folter und ein Leben im Gefängnis«, sagte Hassanna Aalia in einem Interview.

Der marokkanische Druck ist so stark, dass auch Schweden zögert, die DARS diplomatisch anzuerkennen. Schon vor drei Jahren hatte das Parlament in Stockholm die Regierung zu diesem Schritt aufgefordert. Auch die Parteien, die derzeit eine rot-grüne Minderheitsregierung bilden, hatten sich für die Aufnahme von Beziehungen mit der Westsahara ausgesprochen. Als vor einigen Wochen Gerüchte aufkamen, die Anerkennung stünde unmittelbar bevor, verschärfte Rabat den Druck auf Schweden. Die Eröffnung eines Ikea-Möbelhauses wurde kurzfristig verboten, und Regierungssprecher drohten offen mit einem Boykott schwedischer Unternehmen. Zudem kam es in der vergangenen Woche zu antischwedischen Demonstrationen, und eine Delegation marokkanischer Parlamentarier reiste am Mittwoch eigens zu Gesprächen mit dem schwedischen Außenministerium nach Stockholm. Außenministerin Margot Wallström erklärte nun gegenüber Radio Schweden, die Frage einer Anerkennung der DARS sei »nicht aktuell«. Man wolle die interne Prüfung der Angelegenheit abwarten, deren Abschluss im kommenden Februar erwartet wird.

Erschienen am 9. Oktober 2015 in der Tageszeitung junge Welt