Washingtons Weltsicht

Für John Kerry ist die Welt mal wieder sehr einfach. In Venezuela habe die Regierung von Präsident Nicolás Maduro eine »Terrorkampagne« gegen die eigene Bevölkerung entfesselt, erklärte der US-Außenminister am Donnerstag (Ortszeit) in Washington vor dem außenpolitischen Ausschuß des Kongresses. Damit antwortete er auf eine Frage der Abgeordneten Ileana Ros-Lehtinen, die Caracas vorwarf, »friedliche Proteste« gewaltsam zu unterdrücken. Die Republikanerin aus ­Miami hatte 2006 die Ermordung Fidel Castros gefordert und sich schon in den 80er Jahren für eine Freilassung des Terroristen Orlando Bosch engagiert, der in den Bombenanschlag auf ein kubanisches Verkehrsflugzeug 1976 verwickelt war. Sie ist also als antikommunistische Einpeitscherin bekannt. Auch diesmal gelang es ihr, Kerry in die gewünschte Richtung zu drängen. Man versuche gemeinsam mit der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und den Nachbarländern Venezuelas, Druck auf Maduro auszuüben, so der Minister. An dieser Stelle bricht das von Ros-Lehtinen ins Internet gestellte Video aus der Sitzung ab – die weiteren Ausführungen paßten offenbar nicht in ihr Konzept. Denn wie die Washington Post zitierte, mußte Kerry einräumen: »Venezuelas Nachbarn hören nicht auf uns«.

 

Die USA seien bereit, Sanktionen gegen Venezuela zu verhängen und die »Demokratiecharta« der OAS zur Anwendung zu bringen, so Obamas Chefdiplomat. Dieses am 11. September 2001 verabschiedete Dokument sieht als schärfste Maßnahme gegen ein Land, in dem »die demokratische Ordnung zerbrochen« ist, dessen Ausschluß von allen Zusammenkünften der Organisation vor. Allerdings hatte die OAS erst am 7. März eine Resolution verabschiedet, in der sie ihre Solidarität mit der demokratisch gewählten Regierung des Landes und ihre Unterstützung für deren Bemühungen um einen Dialog mit allen gesellschaftlichen Kräften erklärt (jW berichtete).

Auch bei der diesjährigen Tagung des UN-Menschenrechtsrates in Genf erklärten Brasilien, Argentinien, China, Rußland und andere Staaten am Donnerstag ihre Unterstützung für Caracas, nachdem Venezuelas Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz über die Situation in ihrem Land informiert hatte. Die Zahl der Menschen, die seit Mitte Februar bei den gewaltsamen Ausschreitungen getötet wurden, sei auf bislang 28 Menschen gestiegen. »Was als friedliche Demonstrationen in Venezuela begonnen hat, ist in Gewalt und Chaos verwandelt worden«, kritisierte sie. 365 Menschen seien verletzt worden, unter ihnen 109 Beamte der Sicherheitskräfte. So seien drei Angehörige der Nationalgarde erschossen worden, 21 ihrer Kollegen wurden durch Schüsse verletzt. »Das beweist uns, daß die Demonstrationen nicht friedlich, sondern gewalttätig waren«, unterstrich sie. Zugleich räumte sie ein, daß es auch Übergriffe der Uniformierten gegeben habe. Deshalb seien 15 Polizisten in Haft genommen und 40 Verfahren wegen Menschenrechtsverletzungen eingeleitet worden. Insgesamt sitzen im Zusammenhang mit der Protestwelle derzeit 106 Menschen im Gefängnis, so die Juristin.

US-Vizeaußenminister Scott Busby reagierte darauf in Genf mit dem Vorwurf, die venezolanische Regierung habe »ausländische Medien und das Internet geschlossen«. Das venezolanische Oppositionsbündnis MUD (»Tisch der demokratischen Einheit«) warnte am Freitag auf seiner tadellos erreichbaren Internetseite davor, in Venezuela »mit der Konsequenz der Armut und des Verlustes der Freiheit das kubanische Modell« einzuführen. Die gegenwärtige Regierung gieße durch »eine brutale und unverhältnismäßige Repression« Öl ins Feuer, schrieb der Chef der Rechtspartei Un Nuevo Tiempo, Omar Barboza. Zugleich räumte er ein, es gebe bei den Demonstrationen der Opposition »minoritäre Gruppen«, die »isolierte Akte der Gewalt« begingen, »mit denen wir nicht einverstanden sind und die die Regierung nutzt, um uns der Gewalttätigkeit, der Verschwörung und der Putschabsichten zu bezichtigen«. Man sei zum Dialog bereit, aber nur unter Bedingungen. So müßten die Gespräche über alle Rundfunk- und Fernsehsender übertragen werden und es müsse einen »Garanten« geben. Demgegenüber hat Präsident Maduro die Regierungsgegner immer wieder zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen aufgefordert. »Sie haben sich geweigert, weil sie letztlich doch Komplizen der Gewalt sind«, erklärte er dazu am Donnerstag bei einer Friedenskundgebung in Caracas.

Erschienen am 15. März 2014 in der Tageszeitung junge Welt