Warten auf Guaidó

Kommt er oder kommt er nicht? Am Montag wurde an den Schreibtischen der internationalen Nachrichtenredaktionen gespannt darauf gewartet, ob der selbsternannte »Übergangspräsident« Juan Guaidó nach Venezuela zurückkehren würde. Das hatte dieser während seiner Reise durch mehrere südamerikanische Länder angekündigt, wobei er seine Anhänger über Twitter zu »mächtigen« Protestaktionen aufrief, die um elf Uhr Ortszeit beginnen sollten. Eine halbe Stunde vorher teilte er per Audiobotschaft mit, er sei nun »auf dem Weg nach Hause«. Um 12.30 Uhr meldete er über Twitter, er sei »in unserer geliebten Heimat« eingetroffen. Erwartet wurde er am Hauptstadtflughafen Maiquetía von Botschaftern der Staaten, die ihn als »Präsidenten« anerkennen. Auch der Vertreter der Bundesrepublik, Daniel Kriener, zeigte sich am Airport. Man wolle als diplomatisches Personal zu einer »friedlichen Verhandlungslösung« beitragen, erklärte er. Dass Guaidó Gespräche mit der Gegenseite ablehnt, erwähnte er nicht.

Die Größe der Oppositionskundgebungen blieb Medienberichten zufolge überschaubar. »Viel virtuelle Mobilisierung, aber wenig reale Beteiligung«, notierte jW-Korrespondentin Modaira Rubio in Caracas. Erste Videoaufnahmen von der Plaza Alfredo Sadel bestätigten diesen Eindruck. »Die langen Autoschlangen bewegen sich nach La Guaira, an den Strand«, teilte Rubio mit. Auch in Venezuela wird Karneval gefeiert, der Rosenmontagsumzug in der Hauptstadt zog Tausende an. In den Vierteln der einfachen Menschen dröhnten Salsa und Merengue aus den Lautsprechern, der Cocuy floss in Strömen. Fernsehbilder zeigten überfüllte Strände, Konzerte mit Tausenden Besuchern, verkleidete Menschen auf den Straßen. Guaidós Appell, man habe »nichts zu feiern«, stieß offenbar auch bei vielen seiner Anhänger auf taube Ohren.

Im Westen Venezuelas hoffen viele Menschen derweil darauf, dass die seit dem 22. Februar geschlossene Grenze zu Kolumbien noch möglichst lange blockiert bleibt. »Würde heute jemand eine Umfrage machen, würden 70 oder 80 Prozent dafür stimmen, dass die Übergänge zu bleiben«, zeigt sich Migalys, eine Basisaktivistin aus dem Grenzort San Cristóbal, im Gespräch mit junge Welt überzeugt. Seit die Schmuggelrouten nach Kolumbien versperrt seien, könne man auf dem Markt wieder Gemüse kaufen, die Preise seien gefallen – Fleisch und Eier kosteten mittlerweile zwischen einem Viertel und einem Drittel weniger als vor der Grenzschließung. Sogar der öffentliche Nahverkehr funktioniere seitdem wieder regelmäßiger, weil kein Benzin mehr gestohlen werde, um es über die Grenze zu bringen.

Auf der kolumbianischen Seite herrscht dagegen Untergangsstimmung. Cúcutas Bürgermeister César Rojas forderte in der vergangenen Woche, die in seiner Stadt lagernde »humanitäre Hilfe«, die aufgrund der geschlossenen Grenze nicht nach Venezuela gebracht werden kann, unter seinen Einwohnern zu verteilen. Die Regierung in Bogotá helfe zwar der venezolanischen Bevölkerung, »aber die Frage ist, wo die Lösung für die Probleme der Menschen in Cúcuta bleibt«, sagte Rojas dem kolumbianischen Radiosender Caracol. Zudem sei nicht hinnehmbar, dass unter den Grenzbrücken Gruppen von Venezolanern campierten, die immer wieder Posten des Nachbarlandes angriffen. »Es ist besorgniserregend, dass die an den internationalen Brücken stationierte Polizei Befehl erhalten hat, dort unbewaffnet zu bleiben«, so der Bürgermeister weiter. »Was, wenn sich dort eine internationale Provokation ereignet?«

Erschienen am 5. März 2019 in der Tageszeitung junge Welt