Wahlsieg für neue Verfassung

Michelle Bachelet kehrt in den chilenischen Präsidentenpalast La Moneda zurück. Die Kandidatin des Mitte-Links-Bündnisses »Neue Mehrheit« konnte sich am Sonntag in der Stichwahl klar gegen die Vertreterin der Rechten, Evelyn Matthei, durchsetzen. Mit mehr als 62 Prozent der Stimmen erreichte sie das höchste Ergebnis, das je ein Kandidat bei einer Präsidentschaftswahl seit dem Ende der Pinochet-Diktatur mobilisieren konnte. Vor Tausenden jubelnden Anhängern erklärte Bachelet am Sonntag abend (Ortszeit), dieses Ergebnis sei nicht ihr persönlicher Erfolg, sondern der Sieg all derjenigen, die in den vergangenen Jahren für ihre Forderungen auf die Straße gegangen waren: »Gewinne dürfen nicht der Motor der Bildung sein, denn Bildung ist keine Ware! Die Träume der Menschen sind kein Handelsgut, sondern ein Recht aller! Es haben die gesiegt, die im Namen der Vielfalt, im Namen der Toleranz für eine öffentliche Gesundheitsversorgung und für die Verteidigung der Rechte der indigenen Völker auf die Straße gegangen sind.« Als zentrale Forderung hob sie die Ausarbeitung einer neuen demokratischen Verfassung hervor, »die mehr Rechte sichert und die garantiert, daß in Zukunft die Mehrheit nie wieder von einer Minderheit zum Schweigen gebracht wird«. Das bisher geltende Grundgesetz stammt im Kern noch aus der Zeit der Diktatur.

 

Es waren solche Forderungen, die weit über die Regierungspraxis von Bachelets erster Amtszeit von 2005 bis 2009 hinausgehen, die dazu geführt haben, daß ihre Kandidatur diesmal von einem breiten Bündnis getragen wurde, das von den Christdemokraten bis zur KP Chiles reichte. Deren neue Parlamentsabgeordnete Karol Cariola, die Generalsekretärin der Kommunistischen Jugend ist, hob den Sieg Bachelets als »ersten Schritt zum Aufbau einer wirklichen Demokratie in unserem Land« hervor. Es könne aber nicht die Rede davon sein, daß in Chile nun schon der Sozialismus aufgebaut werde, wie rechte Medien nach dem Erfolg Bachelets spekulierten.

Die Wahlen waren in diesem Jahr stark von der Erinnerung an die Diktatur geprägt worden. Am 11. September hatte sich der Putsch gegen den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende zum 40. Mal gejährt. Und auch die Kandidatinnen repräsentierten die beiden Pole der chilenischen Geschichte: Die Väter von beiden waren Generäle der chilenischen Streitkräfte. Michelle Bachelets Vater, Alberto Bachelet, blieb 1973 jedoch loyal zu Allende und verweigerte den Putschisten den Gehorsam. Er wurde verhaftet, gefoltert und starb 1974 an den Folgen der Mißhandlungen. Michelle Bachelet flüchtete mit ihrer Mutter in die DDR, wo sie ihr Studium beenden konnte. Demgegenüber gehörte Fernando Matthei, der Vater der heutigen Rechtskandidatin, zur Putschistenjunta. Evelyn Matthei blieben Verfolgung und Exil erspart.

Erschienen am 17. Dezember 2013 in der Tageszeitung junge Welt