Wahlkampf mit Waldbränden

Für Boliviens Opposition kommen die vor allem im Südosten des Landes wütenden Waldbrände wie gerufen: Am 20. Oktober wird in dem südamerikanischen Land ein neuer Präsident gewählt – und bislang führt Amtsinhaber Evo Morales mit großem Vorsprung. Nach einer am vergangenen Sonntag von der Tageszeitung Página Siete veröffentlichten Umfrage kann Morales in der ersten Runde mit 34 Prozent der Stimmen rechnen, gefolgt von Carlos Mesa mit 27 Prozent. Damit müsste sich der Staatschef am 15. Dezember einer Stichwahl stellen – und die würde der Prognose zufolge Mesa für sich entscheiden können, der dann mit der Unterstützung aller anderen Oppositionskandidaten rechnen könnte.

Während Morales und seine Bewegung zum Sozialismus (MAS) angesichts der Notsituation ihren Wahlkampf ausgesetzt haben, nutzt der bereits von 2002 bis 2003 als Vizepräsident und von 2003 bis 2005 als Staatschef amtierende Mesa die verheerenden Brände für seine ­Kampagne. »40 Millionen verbrannte Bäume, die Flora zerstört, mehr als 1.200 Arten betroffen und in Gefahr, indigene und Bauerngemeinden gefährdet«, bilanzierte er am Montag über Twitter. »Ein nicht wiedergutzumachender Verlust, für den Evo Morales Rechenschaft ablegen muss.«

Unterstützt wird Mesa von der rechtsgerichteten Presse Boliviens – und von ausländischen Medien. Ihr Thema ist vor allem das »Dekret 3973«, das Morales Anfang Juli unterzeichnet hatte. Auf der Homepage des deutschen »Nachrichtensenders« n-tv wurde er dafür am 27. August als »schlimmster Urwald-Abfackler« tituliert. »Die Satellitenaufnahmen der NASA sind ein Fanal. Sie zeigen die flächendeckenden Brände in Südamerikas Regenwäldern«, schreibt Wolfram Weimar in dem Beitrag. »Wild wüten Großfeuer auch in Peru und Paraguay, am wildesten aber in Bolivien. Das hat einen Grund. Denn Bolivien hat am 9. Juli ein Dekret in Kraft gesetzt, das die massenhaften Brandrodungen im Urwald nicht bloß erlaubt, sondern systematisch fördert.«

Das klingt dramatisch, ist aber falsch. Das angesprochene Dekret hat lediglich eine frühere Vorschrift aus dem Jahr 2001 geändert, die vom damaligen Staatschef Hugo Banzer erlassen worden war. Hatte dieser im »Dekret 26075« kontrollierte Brandrodungen im Departamento Santa Cruz erlaubt, erweiterte Morales diese Genehmigung auf Beni. Zugleich werden gegenüber dem Ursprungstext Restriktionen eingeführt. So verlangt »Dekret 3973«, dass sich die Landwirtschaft einem »integralen und nachhaltigen Umgang mit Wäldern und Böden« zu unterwerfen habe.

Tatsächlich haben die Brände in Beni – anders als in Santa Cruz mit der Region Chiquitania – »keine größeren Ausmaße angenommen«, wie jedenfalls der Gouverneur des Departamentos, Alex Ferrier, am Dienstag bei einer Pressekonferenz bilanzierte. Das »Dekret 3973« habe »mit den Bränden nichts zu tun«, unterstrich der sozialistische Politiker. 43 Prozent seines Departamentos seien Naturschutzgebiete, doch auch die Menschen in Beni hätten ein Recht darauf, sich weiterzuentwickeln.

Auch der Exekutivsekretär der bolivianischen Bauerngewerkschaft CSUTCB, Jacinto Herrera, wies die Kritik der Opposition zurück. Wie die staatliche Nachrichtenagentur ABI am Montag berichtete, forderte er die Regierungsgegner zu einer offenen Debatte auf, um belegen zu können, dass die Regierung und der Präsident nicht für die Brände in der am meisten betroffenen Region Chiquitania verantwortlich seien. »Diese Herren von der Opposition haben keine Ahnung, wovon sie sprechen«, erklärte der Gewerkschafter. Er sei bereit, Mesa und seinen Unterstützern zu erklären, wie das Leben auf dem Land aussehe.

Erschienen am 6. September 2019 in der Tageszeitung junge Welt