Vorurteile pflegen

Die kubanische Regierung läßt innerhalb der nächsten Monate insgesamt 52 Gefangene frei, die anschließend nach Spanien ausreisen dürfen. Das Brimborium, das die meisten Medien nun um diese Entscheidung veranstalten, spiegelt vor allem ihre Vorurteile gegenüber dem Inselstaat wider. So behauptet die Agentur AFP: »Über die Identität der 52 Häftlinge wurde zunächst nichts bekannt. Auch, ob Fariñas unter ihnen sein sollte, blieb zunächst unklar.« Zum einen handelt es sich um die noch im Gefängnis sitzenden Personen, die 2003 bei einem Schlag gegen von den USA ausgehaltene Gruppen verhaftet wurden. Deren Namenslisten wurden seither von unzähligen »Menschenrechtsorganisationen« weltweit verbreitet. Zum anderen kann Guillermo Fariñas, der für die Freilassung der »politischen Gefangenen« seit Ende Februar einen Hungerstreik durchführt, gar nicht entlassen werden, weil er nicht im Gefängnis sitzt und auch vor Beginn seiner Nahrungsverweigerung nicht saß.

So überraschend, wie viele nun tun, ist die Freilassung ebenfalls nicht. Kubas Präsident Raúl Castro hatte mehrfach angeboten, den USA ihre Agenten zurückzuschicken, aber dafür die Freilassung der fünf seit fast zwölf Jahren in nordamerikanischen Gefängnissen inhaftierten Kubaner gefordert. Über den Fall dieser Männer, die antikubanische Terrororganisationen in Miami unterwandert hatten, um Anschläge auf der Insel zu verhindern, findet sich in den Mainstreammedien kein Wort.

Tatsächlich hat Havanna für den jetzigen Schritt einen guten Zeitpunkt gewählt. Fariñas fehlt nun die Begründung für seine selbstmörderische Kampagne, und auch den Hardlinern in der EU, die sich der von Spanien betriebenen Aufhebung des »Gemeinsamen Standpunkts« gegenüber Kuba widersetzen, gehen die Argumente aus. Das Land sieht in dem 1996 verabschiedeten Papier wegen der darin enthaltenen Einmischung in Kubas innere Angelegenheiten das wichtigste Hindernis für eine Normalisierung der Beziehungen. Im September steht das Dokument erneut auf der Tagesordnung der EU-Außenminister.

Schließlich braucht die kubanische Regierung gerade jetzt nicht zu befürchten, die Freilassung könne ihr als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden. Fast zeitgleich mit ihrer Bekanntgabe lieferte Venezuela den international gesuchten Terroristen Francisco Chávez Abarca an Kuba aus. Dieser Urheber der Bombenanschläge auf kubanische Hotels 1997 wird wohl kaum auf eine ähnliche Behandlung hoffen können wie die Herrschaften, mit denen sich künftig Madrid herumärgern soll. Aber auch über diesen Fall schweigen die deutschen Medien, denn sonst müßten sie ja darüber berichten, daß Kuba nach wie vor Ziel von Mordanschlägen und ähnlichen Aktionen konterrevolutionärer Banden ist, die aus den USA finanziert und unterstützt werden. So aber konnte selbst eine »sozialistische Tageszeitung« am vergangenen Samstag behaupten, die Blockade Kubas durch die USA und ihre verheerenden Folgen für die Wirtschaft des Landes seien nur ein »alter Kuba-Mythos«.

Erschienen am 9. Juli 2010 in der Tageszeitung junge Welt