Saoka Kingolo. Foto: Claudia Schröppel

»Von der spanischen Regierung erwarte ich wenig«

Saoka Kingolo. Foto: Claudia SchröppelGespräch mit Saoka Kingolo, Koordinator des ­Bereichs »Immigration« der ­Katalanischen ­ Nationalversammlung (ANC)

An diesem Mittwoch ruft die Assemblea Nacional Catalana, die Katalanische Nationalversammlung, zur Menschenkette für die Unabhängigkeit auf. Wieviele Immigranten werden daran teilnehmen?

Die Menschenkette, die Via Catalana, ist eine der wichtigsten Aktivitäten der Assemblea und des katalanischen Volkes in diesem Prozeß auf dem Weg zur Unabhängigkeit. Es ist aber natürlich unmöglich zu schätzen, wieviele in Katalonien eingewanderte Menschen an dieser Aktion teilnehmen werden. Die Immigranten sehen sich sehr vielen Problemen gegenüber, die ihre Teilnahme erschweren. So ist vor sehr kurzer Zeit, vor höchstens drei Monaten, eine eingewanderte Person ausgewiesen worden, weil er sich am Kampf um die Unabhängigkeit beteiligt hat. Wir denken, daß diese Haltung der Regierung des spanischen Staates der Einschüchterung dient. Sie wollen unsere Bewegung spalten und unter den eingewanderten Menschen Angst verbreiten: Wenn ich mich daran beteilige, könnten sie mich auch ausweisen oder sich im gegebenen Moment weigern, meine Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern.

 

Die Einwanderungspolitik wird auf der Ebene der Europäischen Union entschieden, der nach Ansicht der Assemblea auch das unabhängige Katalonien angehören soll. Wieso glauben Sie, daß unter solchen Bedingungen in einem eigenständiges Katalonien bessere Bedingungen für Immigranten herrschen werden?

Die EU hat eine gemeinsame Immigrationspolitik entwickelt, die sehr kompliziert und kaum zu verstehen ist. Tatsächlich aber ist die EU bislang eine Konföderation, in der die Staaten ihre gemeinsamen Interessen aushandeln. Zugleich bleibt ihnen aber ein Teil ihrer Souveränität. Katalonien ist aufgrund seines eigenen Charakters und seiner geographischen Lage ein Land, das auf die Einwanderung angewiesen ist, das Menschen aufnehmen muß. Wenn also die Politik der EU nicht dem entspricht, was ich als Aufnahmepolitik bezeichnen würde, hätten wir natürlich ein Problem. Aber Katalonien hätte in der EU dann die Möglichkeit, seine Partner davon zu überzeugen, daß eine solche Politik gerechter und menschenwürdiger wäre. Wenn wir die Unabhängigkeit erlangt haben, haben wir die Möglichkeit, selbst zu erklären, was uns in diesem Prozeß interessiert.

Das würde aber natürlich auch von der Regierung abhängen, die das unabhängige Katalonien haben würde. Könnte hinsichtlich der Immigrationsfrage eine Lösung deshalb nicht auch einfach ein Regierungswechsel in Spanien sein?

Von den spanischen Regierungen erwarte ich nur wenig für eine Verbesserung der Lage der eingewanderten Menschen. Das haben sie immer wieder bewiesen. Unter den sozialistischen Regierungen …

Sie meinen die von der sozialdemokratischen PSOE geführten Kabinette …

… ist es nicht gelungen, eine Verbesserung der Einwanderungspolitik zu erreichen, und unter den rechten Regierungen noch viel weniger. Auch unter den Sozialisten war es immer so, daß bei einem Schritt in die richtige Richtung sofort Stimmen aus den eigenen Reihen laut wurden, die das Gegenteil forderten. So trat der damalige sozialistische Arbeitsminister, der auch für die Immigration zuständig war, auf und forderte, der Fami­liennachzug müsse auf ein Minimum reduziert werden – während die EU zugleich ihren Mitgliedsstaaten empfohlen hat, bei der Einwanderung der Familienzusammenführung Priorität einzuräumen. Deshalb erwarte ich mir vom spanischen Staat nur noch wenig. Zugleich muß ich feststellen, daß Katalonien innerhalb des spanischen Staates bislang immer wieder Vorschläge zur Verbesserung der Lage der eingewanderten Menschen unterbreitet hat, zum Beispiel eine Verkürzung der Aufenthaltsdauer, nach der die spanische Staatsbürgerschaft beantragt werden kann – aber solche Vorschläge sind immer wieder auf eine Mauer der Ablehnung gestoßen.

Wer wäre bei einer Unabhängigkeit Kataloniens dessen Staatsbürger? Sicherlich ja zunächst einmal nicht der deutsche Tourist, der sich für zwei Wochen an der Costa Brava an den Strand legt…

Diese Frage wird oft aufgeworfen und sie ist nicht ganz einfach zu beantworten. Unser Bereich hat deshalb ein eintägiges Seminar organisiert, um gemeinsam als Assemblea zu diskutieren, welches unser Diskurs in dieser Frage ist. Dabei sind viele Zweifel und Fragen aufgetaucht. Aber wir waren uns einig, daß es auf jeden Fall nicht angehen kann, daß Menschen, die wir zur Unterstützung der Unabhängigkeit aufrufen, nach deren Erreichen wieder diskriminiert werden, weil sie vielleicht nicht hier geboren wurden. Nein, das wäre undenkbar. Jeder Mensch, der sich in den Aufbau des neuen Staates einbringt, gilt uns als Mitbegründer desselben und hat alle Rechte.

Erschienen am 11. September 2013 in der Tageszeitung junge Welt