Volltanken geschenkt

Gehören die lächerlich geringen Benzinpreise in Venezuela bald der Vergangenheit an? Die Regierung in Caracas hat Anfang August eine neue Debatte um die Energie­kosten in Gang gesetzt und Preissteigerungen angekündigt. Noch in der vergangenen Woche betonte Staatschef Nicolás Maduro, man werde in einer breiten öffentlichen Debatte ein neues Preissystem entwickeln, das auch für die Zukunft Bestand hat. »Eine Erhöhung der Preise wird vom organisierten Volk festgelegt, nicht von einigen Oppositionellen«, erklärte er mit Blick auf selbsternannte Experten der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und von Wirtschaftszeitungen, die im Brustton der Überzeugung bereits konkrete Preise verkündet hatten, die Caracas demnächst fordern werde. Man habe »keine Eile«, so Maduro, aber es müsse den Venezolanern bewußt werden, daß die Erdölverwertung des südamerikanischen Landes nachhaltig organisiert werden muß, um mehr zur Wirtschaftsentwicklung beizutragen, als dies bisher der Fall ist. Die zusätzlichen Einnahmen sollten dem Wohnungsbau, der Bildung, Gesundheitsversorgung, Sport und Kultur zugute kommen, versprach Maduro.

 

Ähnliche Kampagnen im Zusammenhang mit den Benzinpreisen gab es in den vergangenen Jahren immer wieder, doch meist verliefen sie im Sande. Aus nachvollziehbarem Grund: Eine Erhöhung hätte nicht nur weitreichende Folgen für Warentransporte, öffentliche Verkehrsverbindungen und alle anderen Wirtschaftsbereiche, die auf Benzin angewiesen sind, sondern würde sich auch auf die ohnehin hohe Inflationsrate auswirken. Ein solcher Schritt würde zudem zwangsläufig die Erinnerungen an den »Caracazo« vom Februar 1989 wachrufen. Damals hatte eine Verdoppelung der Benzinpreise zu einer Explosion der Bustarife und zu massiven Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln geführt. Die Folge war ein spontaner Volksaufstand, der von der damaligen sozialdemokratischen Regierung unter Staatschef Carlos Andrés Pérez blutig niedergeschlagen wurde. 1997 erfolgte dann unter Rafael Caldera die bis heute letzte Benzinpreiserhöhung, damals um 500 bis 600 Prozent. Zwar blieb die öffentliche Reaktion verhalten – die Erinnerung an das Massaker war noch frisch –, doch rückblickend gilt Analysten diese Haushaltssanierung auf Kosten der Armen als einer der letzten Auslöser für den Erfolg von Hugo Chávez bei der Präsidentschaftswahl im Jahr darauf.

Doch abgesehen von Sprechern der Opposition, die unbesehen jede Initiative der Regierung verwerfen, bestreitet in Venezuela heute kaum jemand ernsthaft die Notwendigkeit, die Benzinpreise anzupassen. Die Nachrichtenagentur AVN rechnete vor, daß dem venezolanischen Staat jährlich durch die Subventionierung des Kraftstoffs rund 12,5 Milliarden US-Dollar verloren gehen. Der Preis für den Liter Normalbenzin liegt seit 17 Jahren unverändert bei 0,07 Bolívares (Bs.F.) – nach dem offiziellen Kurs ist das weniger als ein Euro-Cent (nach dem Schwarzmarktkurs noch weniger). Die Produktionskosten, die der Staatskonzern PDVSA aufbringen muß, betragen demgegenüber 2,4 Bs.F. bzw. 28 Cent. In Uruguay, dem Land mit den höchsten Benzinpreisen in Südamerika, kostet der Liter umgerechnet 1,41 Euro, in Kolumbien etwa 90 Cent. Kein Wunder also, daß auch der Benzinschmuggel aus Venezuela ins Nachbarland riesige Ausmaße angenommen hat. Vor wenigen Tagen versuchte Caracas, den Schiebern durch eine mehrtägige Vollsperrung aller Grenzübergänge zu Kolumbien das Handwerk zu legen – doch langfristig werden solche demonstrativen Maßnahmen trotz triumphierend zur Schau gestellten Beschlagnahmungen wohl kaum ausreichen.

Aber auch auch nach einer Erhöhung dürften Venezuelas Benzinpreise im internationalen Maßstab niedrig bleiben. Energieminister Rafael Ramírez betonte Anfang August bei einer Festveranstaltung aus Anlaß des 100. Jahrestages des ersten Erdölfunds im westlich gelegenen Bundesstaat Zulia, man werde sich nicht am Weltmarktpreis orientieren, aber einen »vernünftigen« Betrag anstreben. Der Minister, der auch PDVSA-Präsident ist, illustrierte das derzeitige Dilemma an einem Beispiel: »Es ist billiger, einen Tank mit Benzin zu füllen, als eine Zigarette zu kaufen.« Für den Preis einer mittleren Flasche Trinkwasser könne man derzeit vier Kleinwagen volltanken. In Zeitungsanzeigen hatte Venezuelas Ölkonzern auch schon ein Handy abgebildet, auf dem zu lesen war: »Einen Text von dieser Länge per SMS zu verschicken ist teurer, als dein Auto aufzutanken.«

Für Aufregung sorgte Ramírez auch durch Äußerungen in einem Interview über einen möglichen Verkauf der Tankstellenkette Citgo in den USA, einer 100prozentigen Tochter von PDVSA. Er hatte öffentlich darüber sinniert, daß ein Verkaufspreis des Unternehmens bei »etwas mehr als zehn Milliarden Dollar« liegen dürfte. Schon in seiner Ansprache in Zulia hatte er erklärt, daß die in den 80er Jahren von PDVSA erworbenen Auslandsbeteiligungen nie profitabel gewesen seien, sondern nur dazu gedient hätten, den Staatskonzern aus der Kontrolle durch die Regierung zu lösen, damit sich die Manager selbst bereichern konnten.

Eile habe man mit einem Verkauf jedoch nicht, betonte Ramírez und erinnerte daran, daß die Regierung in den vergangenen Jahren schon mehrfach Raffinerien verkauft und Auslandsbeteiligungen abgestoßen hatte. So veräußerte PDVSA den 50prozentigen Anteil an der deutschen Ruhr Oel Gmbh 2010 an den russischen Konzern Rosneft. Citgo hatte der venezolanischen Regierung zuletzt jedoch auch als Instrument der eigenen Außenpolitik gedient. So gibt das Unternehmen seit 2005 jedes Jahr im Winter vergünstigtes oder kostenloses Heizöl an Schulen, Kindergärten und arme Familien ab – greifbare Solidarität aus einem Land, das von Washington regelmäßig verteufelt wurde. Nach einem Verkauf wäre es damit wohl vorbei.

Erschienen am 19. August 2014 in der Tageszeitung junge Welt