Vertane Chance

Der Wissenschaftsverlag Springer VS bringt nicht nur dicke Wälzer heraus, darunter Standardwerke ihrer jeweiligen Fachrichtungen. Inzwischen gibt es in diesem Hause auch eine Reihe dünner Hefte, die sich »Essentials« nennen und »die Essenz dessen, worauf es als ›State-of-the-Art‹ in der jeweiligen Fachdiskussion oder in der Praxis ankommt« liefern sollen. In dieser Reihe erschien nun in zweiter Auflage ein 50 Seiten schmales Bändchen über »Assads Kampf um die Macht. Eine Einführung zum Syrienkonflikt«.

Autor Ben Bawey wollte es sich einfach machen, ist daran jedoch gescheitert. In der Einleitung räumt er ein, dass es sich bei dem Text um einen Auszug aus einem früheren Buch handelt. Dieser wurde überarbeitet, um dem Leser »einen schnellen Überblick über den Nahostkonflikt« zu geben. Das funktioniert einigermaßen in dem Abschnitt, in dem Bawey die religiöse Zersplitterung Syriens skizziert. Diese Informationen sind durchaus hilfreich, um die Hintergründe des Konflikts und vor allem das Erstarken der islamistischen Terrorgruppen wie Al-Nusra und IS besser zu verstehen. Nützlich ist auch das Kapitel über die Geschichte der territorialen Aufteilung der Region unter den europäischen Kolonialmächten.

Doch das Thema dieser »Essentials« ist ja nicht die Geschichte Syriens, sondern – so legt es jedenfalls der Titel nahe – die aktuelle Lage. Die Kapitel jedoch, die sich direkt um »Assads Kampf um die Macht« drehen, machen in dieser Broschüre gerade einmal 14 Seiten aus.

Bawey gelingt kaum mehr, als Stichworte und Daten zu erwähnen – für Zusammenhänge und Erläuterungen bleibt kein Platz. So wird zwar die »Arabellion«, der »Arabische Frühling«, als Umfeld der Eskalation in Syrien genannt und ihr Beginn in Tunesien geschildert. Nur angedeutet wird aber, welchen Zusammenhang es zwischen dem von der NATO herbeigebombten Sturz des libyschen Staatschefs Muammar Al-Ghaddafi und dem Krieg in Syrien gibt. Keine Erwähnung findet, wie der Westen nach dem scheinbar schnellen und problemlosen Sturz Ghaddafis versuchte, das gleiche Modell in Syrien anzuwenden. Das scheiterte daran, dass sich das Regime in Damaskus als stabiler erwies, als es der libysche Staatsapparat gewesen war. Zudem zersplitterte sich die syrische »Opposition« schon während des Kampfes gegen die Regierung in Damaskus, während sich die Aufständischen in Libyen bis zur Machtübernahme den Anschein einer geeinten Front geben konnten – bevor sie dann nach dem Sturz Ghaddafis in unzählige Fraktionen und Banden zerfielen.

Nichts erfährt man davon, wie sich der Westen in Syrien einmischte. So wurde im Juni 2012 in Berlin ein Büro der »Freunde Syriens« eröffnet, das den »Wiederaufbau koordinieren« sollte. Dieses lud wenig später Vertreter der Aufständischen nach Berlin zu Beratungen ein, empfangen wurden sie vom damaligen Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Solche Details, die über die Verwicklung Europas und der USA in den Krieg Aufschluss geben könnten, finden sich in Baweys Schrift nicht oder nur in Halbsätzen. Auch die Einmischung der Golfmonarchien und der Türkei wird lediglich angerissen. Die Rolle Moskaus beschreibt der Autor ohnehin nur im Gleichklang mit den Mainstreammedien: »Global ist eine völkerrechtliche Lösung des Konflikts in der UNO mehrfach am Veto Chinas und Russlands gescheitert.«

Wenn das der »›Stand der Kunst‹ der Fachdiskussion« ist, spricht dies nicht gerade für die aktuellen Politik- und Islamwissenschaften.

Ben Bawey: Assads Kampf um die Macht. Eine Einführung zum Syrienkonflikt. Springer VS, Wiesbaden 2016, 50 Seiten, 9,99 Euro

Erschienen am 21. März 2016 in der Tageszeitung junge Welt