Verlogene Ehrung

In Strasbourg sind am Mittwoch Vertreter der »demokratischen Opposition« Venezuelas mit dem Sacharow-Preis ausgezeichnet worden. Der Präsident des Europaparlaments, Antonio Tajani, nannte dies ein Zeichen dafür, dass man am »Prinzip der Gewaltenteilung, der Grundlage jeder Demokratie«, festhalte.

Eine kleine Erinnerungsstütze für Herrn Tajani, der ein Gefolgsmann von Italiens Expremier Silvio Berlusconi und früherer Aktivist der Monarchistischen Jugend Italiens ist: Das »demokratische« Parlament, dem er vorsteht, darf keinerlei Gesetzesinitiativen ergreifen. Seine Aufgabe ist es, Vorlagen der EU-Kommission abzunicken. Und natürlich, sich zum Schiedsrichter für Demokratiefragen in aller Welt aufzuschwingen, solange das die Geschäfte der Lobbyisten nicht stört. Deshalb hört man aus Brüssel, Strasbourg und Berlin bislang auch praktisch nichts zum offenkundigen Wahlbetrug in Honduras – denn bei dem geht es ja darum, einen Linksschwenk zu verhindern. Unterstützung für die dortige Protestbewegung? Ach was!

»Dies ist auch ein Appell für einen friedlichen Übergang zur Demokratie, welchen die Menschen in Venezuela so verzweifelt fordern«, hatte Tajani im Vorfeld der Preisverleihung verkündet. »Friedlicher Übergang«? Die Rede ist hier von Leuten, die zwischen April und Juli eine Terrorkampagne entfesselt haben, zu der Angriffe auf Krankenhäuser, Behörden und Einrichtungen der staatlichen Hilfsprogramme gehörten. Die Straßenkämpfer der »demokratischen Opposition« ermordeten Menschen, die sie für »Chavistas« hielten. Die Bilder von lebendig in Brand gesteckten Opfern schockierten weltweit – sofern sie in den Massenmedien gezeigt wurden. Nach Angaben des vom venezolanischen Kulturministerium betriebenen Senders Alba Ciudad starben im Zusammenhang mit den Protesten 131 Menschen. Für Tajani sind das alles »ermordete Oppositionelle« – obwohl zu den Opfern nur 13 gehören, die von Polizisten oder Nationalgardisten erschossen wurden – 40 Beamte wurden deshalb inhaftiert. In den meisten deutschen und europäischen Medien war davon nichts zu erfahren.

Man kann die Zustände in Venezuela durchaus kritisieren und sollte das auch. Korruption, Bürokratismus und Inflation sind nach wie vor ungelöste Probleme. Und die Behinderung unabhängiger Kandidaten bei den Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag wirft ebenfalls Fragen auf. Doch darum geht es Tajani und Company nicht. Sie wollen den Sturz der demokratisch gewählten Regierung in Caracas – und da die zersplitterte Opposition Venezuelas dazu nicht in der Lage ist, soll sie von außen aufgepäppelt werden. Dem dienen aufmunternde (und finanziell einträgliche) Preisverleihungen ebenso wie Sanktionen gegen die Regierung von Präsident Nicolás Maduro. Da folgen Brüssel und Berlin vorbehaltlos der Linie von US-Präsident Donald Trump, der sogar eine »militärische Option« gegen Venezuela nicht ausschließen wollte.

Erschienen am 14. Dezember 2017 in der Tageszeitung junge Welt