Venezuelas Opposition beging politischen Selbstmord

In angespannter Stimmung, aber letztlich mit nur wenigen Zwischenfällen hat Venezuela am vergangenen Sonntag die Nationalversammlung, das Einkammernparlament des südamerikanischen Landes, neu gewählt. Überschattet wurde die Abstimmung von einem Boykottaufruf der wichtigsten Oppositionsparteien.

Noch am Montag vor der Wahl hatten die wichtigsten Oppositionsparteien, darunter die der Sozialistischen Internationale angeschlossene „Acción Democrática“ (AD) und die traditionelle Schwesterpartei der CDU/CSU, Copei, einen Boykott ausgeschlossen, nachdem die oberste Wahlbehörde des Landes, der Nationale Wahlrat (CNE), den Regierungsgegnern weit entgegengekommen war. So hatte die Opposition den Einsatz von Fingerabdruckmaschinen bemängelt, durch die eine mehrfache Stimmabgabe verhindert werden sollte. Nachdem diese und andere Regelungen nach langen Sitzungen unter Vermittlung der internationalen Wahlbeobachter erreicht worden waren, erklärten die Oppositionssprecher, jetzt würden sie an der Abstimmung teilnehmen. Nur die extremistische, nachweislich von der US-Regierung gegründete und finanzierte Organisation „Súmate“ hielt an ihrem Boykottaufruf fest und rief die Venezolaner auf, am Wahltag nicht in die Wahllokale, sondern in die Kirche zu gehen.

Doch zwei Tage später galten all diese Erklärungen nichts mehr, AD, Copei und andere erklärten nun auch, ihre Kandidaten zurückzuziehen und riefen zu einem Boykott der Abstimmung auf. Die rechte, von der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützte, Partei „Primero Justicia“ (PJ) konnte diesen Schwenk so schnell nicht nachvollziehen und hielt erstmal noch an ihrer Wahlbeteiligung fest. Erst am Donnerstag vor der Wahl erklärte sie ihren Rücktritt von der Wahl, offenbar um nicht zur Zielscheibe für die restliche Opposition zu werden.

PJ war die einzige Partei, die mit ihrem Wahlverzicht real ein Opfer brachte. Umfragen hatten ihr zwischen 10 und 15 Prozent der Stimmen gegeben, sie wäre somit die stärkste Oppositionspartei geworden. AD hätte nur vier Prozent der Stimmen bekommen, andere Organisationen noch weniger.

Das war offensichtlich einer der entscheidenden Auslöser für den Wahlboykott. Die Opposition brauchte einen Ausweg, um der vor aller Welt sichtabren Abstrafung durch die Wählerinnen und Wähler zu entgehen. So verfielen die Oppositionsführer darauf, die traditionell hohe Wahlenthaltung bei Parlamentswahlen auszunetzen, um sie als Ergebnis einer Ablehnung der Regierungspolitik zu präsentieren.

Offen mischte sich auch die US-Administration in den Wahlkampf ein. So erklärte der Sprecher des State Department, Sean McCormack, am Mittwoch vor der Wahl: „Die Venezolaner haben wie alle Völker das Recht auf freie und saubere Wahlen. Wir sind besorgt, weil dieses Recht immer mehr gefährdet wird und wir werden weiterhin die Anstrengungen des venezolanischen Volkes unterstützen, zu transparenten Wahlen zu kommen und ihre politischen und Bürgerrechte zu schützen.“ Das führte die venezolanische Regierung dazu, den Aufruf zum Wahlboykott als einen erneuten Destabilisierungsversuch des US-Imperialismus zu werten. Zugleich tauchte das Gespenst des April-Putsches von 2002 auf. Viele Vertreter der Regierung, aber auch viele einfache Menschen fürchteten, dass die Opposition Gewalt und Zusammenstöße provozieren werde, um damit erneut den Vorwand für einen Staatsstreich zu haben.

Deshalb richtete das venezolanische Außenministerium einen Aufruf an alle Vertretungen Venezuelas im Ausland und an die internationale Solidaritätsbewegung, die Entwicklung der Ereignisse in Venezuela aufmerksam zu verfolgen und die Öffentlichkeit weltweit wahrheitsgemäß zu informieren. In Deutschland führte das zu einem Informationsschreiben der Botschaft in Berlin an die Solidaritätsgruppen und zur Veröffentlichung von Erklärungen und Flugblättern durch lokale Soligruppen und durch das bundesweite Bündnis Netzwerk Venezuela. Über die Homepage des Bündnisses wurden außerdem ständig aktuelle Nachrichten aus Venezuela verbreitet. Dabei griffen die Soligruppen in Deutschland die Losung auf, die von der bolivarianischen Bewegung in Venezuela geprägt worden war: „El pueblo no se retira“ – Das Volk zieht sich nicht zurück.

Petrus zeigte sich mal wieder als Verbündeter der Rechten. Heftige Regenfälle sorgten in mehreren Bundesstaaten Venezuelas dafür, dass die Wahlbeteiligung hier merklich zurückging, obwohl die Wahllokale auf Weisung des CNE über den eigentlichen Abstimmungsschluß um 16 Uhr Ortszeit hinaus geöffnet blieben.

Das allein reichte der Opposition aber nicht aus, um für eine möglichst geringe Wahlbeteiligung zu sorgen. Oppositionelle Gruppen griffen auch wieder zu terroristischen Methoden, um Unruhe zu verbreiten. In der Nacht auf den Wahlsonntag explodierten Sprengsätze an einer Erdölpipeline und unterbrachen die Ölversorgung mit einer Region im Nordwesten des Landes. Auch in Caracas explodierten mehrere kleinere Sprengsätze, andere konnten rechtzeitig von den Sicherheitskräften entdeckt und unschädlich gemacht werden.

Nachdem die Wahllokale geschlossen waren, konnte der Nationale Wahlrat um 20.45 Uhr Ortszeit erste vorläufige Ergebnisse bekanntgeben. Das Resultat war das, was nach dem Boykott der Opposition erwartet worden war: die erdrückende Mehrheit der Abgeordneten in der Nationalversammlung und der venezolanischen Vertreter im Lateinamerikanischen und Anden-Parlament gehört der von Hugo Chávez gegründeten Partei MVR, die allein etwa 114 der 167 Sitze erobern konnte, und der mit dem Präsidenten verbündeten Parteien an. Erstmals zieht auch die Kommunistische Partei (PCV) mit mehreren Vertreterinnen und Vertretern in die Parlamente ein, unter ihnen die Generalsekretäre der Partei, Oscar Figuera, und des Kommunistischen Jugendverbandes, David Velásquez, in die Nationalversammlung und der internationale Sekretär der PCV, Carolus Wimmer, in das Lateinamerikanische Parlament.

Erschienen in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit am 9. Dezember 2005