Venezuela leistet Widerstand

Gibt es noch Solidarität mit Venezuela? Rund 300 Menschen aus zwei Dutzend Ländern – vor allem aus Lateinamerika, aber auch aus Afrika, Europa, Asien und Australien – haben diese Frage in Caracas mit einem lautstarken »Ja« beantwortet. Aus Anlass des fünften Jahrestages des Todes des früheren Präsidenten Hugo Chávez kamen sie am Dienstag und Mittwoch unter dem Motto »Wir alle sind Venezuela« zusammen. Das Ziel des Treffens war es, sich mit Hintergrundinformationen über die aktuellen Vorgänge zu versorgen, um zu Hause der verzerrten Darstellung in den meisten Medien Paroli bieten zu können.

Den Teilnehmern standen hochrangige Gesprächspartner zur Verfügung. So rief Kulturminister Ernesto Villegas dazu auf, sich nicht in die Irre führen zu lassen. Venezuela sei einem Angriff ausgesetzt, der dem Krieg der USA gegen Vietnam ähnele – der aber nicht mit Napalm geführt werde, sondern mit einer Wirtschafts- und Finanzblockade, um die Bevölkerung von der Versorgung mit Medikamenten und Lebensmitteln abzuschneiden. Es herrsche eine von außen eingeführte und von den USA aus gesteuerte Hyperinflation.

Die von Internetseiten wie Dolar today verbreiteten Kurse des »parallelen Dollar« entsprächen nicht den tatsächlichen wirtschaftlichen Fakten, sondern würden politisch bestimmt. Viele Händler berechneten ihre Preise nach diesen Schwarzmarktkursen, obwohl sie für ihre Produkte keine Importe und also auch keine US-Dollars benötigen. Das schneide die arbeitenden Menschen in Venezuela vom Zugang zu lebenswichtigen Produkten ab, weil sie diese von ihren Gehältern nicht bezahlen können. Außerdem verhinderten die Sanktionen der USA und der EU lebenswichtige Importe, weil Caracas vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten werde. »Der Wirtschaftskrieg fordert Menschenleben«, betonte Villegas: Patienten in Krankenhäusern, die nicht versorgt werden können, Kinder ohne Medikamente, Verletzte, die nicht schnell genug in die Notaufnahme gebracht werden können. »Wir leisten Widerstand, um zu siegen«, betonte Villegas, »nicht um uns mit jemandem auszusöhnen oder um zu kapitulieren«.

Der für Ernährungsfragen zuständige Minister Freddy Bernal berichtete über die CLAP, mit denen die Regierung die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung sicherstellen will. Diese »Lokalen Komitees für Ernährung und Produktion« beliefern seit Mitte 2016 Millionen Menschen mit Lebensmittelpaketen, in denen die wichtigsten Grundnahrungsmittel enthalten sind und die zu einem symbolischen Preis von umgerechnet derzeit 0,50 Euro abgegeben werden.

Die Initiative für die CLAP sei vor gut zwei Jahren von einer Bürgermeisterin in Trinidad im Bundesstaat Yaracuy ausgegangen. In dieser Zeit fehlten in den Geschäften die wichtigsten Waren des täglichen Bedarfs. Vor den Läden bildeten sich lange Schlangen, die Menschen warteten über Stunden, um Gemüse oder Maismehl kaufen zu können. Die Politikerin reagierte darauf, indem sie mit ihren Mitarbeitern direkt zu den Erzeugern aufs Land fuhr und die dort erworbenen Lebensmittel direkt an ihre Mitbürger weitergab.

Die Initiative griff schnell um sich und wurde am 13. März 2016 von Präsident Nicolás Maduro mit der offiziellen Gründung der CLAP auf die nationale Ebene gehoben. Allein 2017 verkauften die CLAP landesweit 90 Millionen Lebensmittelpakete. Außerdem soll das Programm dazu beitragen, Venezuela von Importen unabhängiger zu machen und die Produktion anzukurbeln. So ist beabsichtigt, künftig jede freie Fläche zum Anbau von Obst und Gemüse zu nutzen. »Es geht um eine Änderung unserer Kultur«, machte Bernal die Bedeutung dieser Strategie deutlich. »In Venezuela waren wir es gewohnt, alles zu importieren, was wir brauchten, weil genügend Geld da war. Die Krise zwingt uns zum Umdenken und zum Produzieren.«

Bernal verschwieg auch die Schwierigkeiten nicht: Neben organisatorischen Problemen, die immer wieder die Belieferung unterbrechen, gehen in einem beim venezolanischen Vizepräsidenten Tareck El Aissami angesiedelten Kontrollzentrum unzählige Beschwerden darüber ein, dass CLAP-Pakete verschoben werden, verschwinden oder sogar über die Grenzen in die Nachbarländer geschmuggelt werden. Bernal geht davon aus, dass diese Vorkommnisse Teil des gegen Venezuela geführten Wirtschaftskrieges sind, durch den die Regierung destabilisiert werden soll. »Aber die CLAP sind entstanden, um zu bleiben.«

Auch Außenminister Jorge Arreaza setzt auf die Bevölkerung. In seinem Beitrag bei einem Workshop betonte er die »chavistische Methode«: In einer Revolution mache man die Dinge mit dem Volk – oder man mache sie nicht. Er warnte davor, für die derzeitigen Angriffe auf sein Land nur den aktuellen Herrn im Weißen Haus verantwortlich zu machen: »Das Problem ist nicht Donald Trump, das Problem ist das System. Solange der Imperialismus existiert, wird er seine Angriffe auf uns fortsetzen.«

Als Hauptredner der Abschlussveranstaltung wandte sich Präsident Maduro am Mittwoch abend an die Teilnehmer. In seiner gut einstündigen Rede zeigte er sich überzeugt, dass Venezuela in den vergangenen Jahren bewiesen habe, dass die sozialistische Orientierung dem Kapitalismus überlegen ist. Er zog Vergleiche mit anderen Ländern: In Venezuela habe man in den vergangenen Jahren zwei Millionen Wohnungen gebaut, die Familien praktisch kostenfrei übergeben wurden. In Spanien seien dagegen Zehntausende Familien aus ihren Unterkünften geworfen worden, weil sie Bankkredite nicht bezahlen konnten. Während in Kolumbien 60 Prozent der Schüler für ihren Unterricht bezahlen müssen, besuchten in Venezuela mehr als 80 Prozent der Kinder öffentliche Schulen, die vollkommen kostenfrei sind. »Der Imperialismus hat Lateinamerika nichts mehr anzubieten, selbst den nationalen Bourgeoisien nicht«, so Maduro. »Sein einziges Angebot sind Mauern und Blockaden.«

Erschienen am 9. März 2018 in der Tageszeitung junge Welt