Venezuela feiert Chávez

Zehntausende Menschen sind am Sonntag abend (Ortszeit) in das Stadtzentrum der venezolanischen Hauptstadt Caracas geströmt, um den Sieg ihres Präsidenten Hugo Chávez zu feiern. Kurz zuvor hatte der Nationale Wahlrat (CNE), die oberste Wahlbehörde des süd­amerikanischen Landes, nach Auszählung von 90 Prozent der Stimmen, das erste offizielle Ergebnis der Präsidentschaftswahl bekanntgegeben. Bei einer Rekordbeteiligung von über 80 Prozent wählten demnach 54,42 Prozent der Wähler (7444062 Stimmen) den Amtsinhaber. Herausforderer Henrique Capriles Radonski kam auf 6151544 Stimmen (44,97 Prozent) und erkannte wenig später seine Niederlage an. In mindestens 20 der 24 Bundesstaaten Venezuelas konnte sich Chávez durchsetzen. Nach Auszählung von 98 Prozent der Wählerstimmen kam Chávez sogar auf 55 Prozent.

Von einem Balkon des Präsidentenpalastes aus begrüßte Chávez die Haltung der Opposition, die das Ergebnis anerkannt hatte. »Ich reiche euch diese beiden Hände und dieses Herz, denn wir alle sind Geschwister im Heimatland Bolívars«, erklärte der Wahlsieger. Mehr als acht Millionen Menschen, so der Staatschef mit Blick auf die endgültigen Zahlen, hätten für die Revolution, den Sozialismus und ein großartiges Venezuela gestimmt. »Heute haben wir demonstriert, daß unsere Demokratie eine der besten Demokratien der Welt ist, und das werden wir auch weiterhin beweisen«, rief er den jubelnden Menschen zu. Die Entscheidung des venezolanischen Volkes garantiere die Fortsetzung des von ihm geführten sozialistischen Projekts, dessen Ziel »das größtmögliche Glück für das Volk« sei. »Es wird keine imperialistische Kraft geben, so groß sie auch sein mag, die es mit dem Volk von Simón Bolívar aufnehmen kann.« Venezuela werde niemals in den Neoliberalismus zurückgeworfen werden, sondern weiter den Bolivarischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts aufbauen.

Der Wahltag hatte in Venezuela bereits früh um drei Uhr morgens begonnen. Lautstark schmetterten Lautsprecherwagen, Blasorchester oder Stereoanlagen in Fenstern Fanfaren in die dunkle Nacht hinaus. Diese »Toque de Diana« ist das traditionelle Signal für die Chavisten, möglichst früh zur Wahl zu gehen. Tatsächlich bildeten sich kurz darauf schon lange Schlangen vor den Wahllokalen, die um sechs Uhr morgens öffneten. Sowohl Regierungsanhänger als auch Oppositionelle strömten zu ihren Abstimmungsstätten, denn auch letztere waren dank entsprechender Berichterstattung der großen Massenmedien im In- und Ausland von ihrem Sieg überzeugt. Bereits gegen Mittag hatten etwa im größten Wahllokal des Landes, dem Liceo Andrés Bello im Zentrum von Caracas mit 14000 Wahlberechtigten, rund 75 Prozent ihre Stimme abgegeben, wie ein Sprecher des dortigen Wahlvorstands gegenüber junge Welt berichtete.

Alle staatlichen Stellen hoben den weitgehend störungsfreien Verlauf des Tages hervor. Auch unter den Jubelnden war die Erleichterung spürbar. Schon am frühen Nachmittag zogen Konvois von Motorradfahrern und Autos mit roten Fahnen und Hupkonzerten ihre Runden durch die Innenstadt. Viele hatten im Vorfeld befürchtet, daß die Opposition mit Manipulationsvorwürfen für Unruhen sorgen könnte. »Die wollen Krieg, es wird knallen«, hatten Chávez-Anhänger noch am Samstag gegenüber jW gewarnt.

Am späten Abend wurden dann die Gesichter der Oppositionsvertreter im Fernsehen immer länger, während Jorge Rodríguez, der Chef von Chávez’ Wahlkampfstab, sich ein breites Grinsen nicht verkneifen konnte und bereits Stunden vor den ersten offiziellen Zahlen von einem »historischen Tag« sprach. Ab etwa 20 Uhr Ortszeit verdichteten sich die Hinweise auf den Ausgang der Abstimmung, wie jW im Online Spezial exklusiv berichten konnte. Am Präsidentenpalast wurde eine Bühne aufgebaut. In der Umgebung sammelten sich da schon die ersten Feiernden. Und als dann CNE-Chefin Tibisay Lucena das offizielle Ergebnis bekanntgab, kannte der Jubel keine Grenzen mehr.

Zu den ersten Gratulanten Chávez’ gehörten Kubas Präsident Raúl Castro, Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández und Kolumbiens Staatschef Juan Manuel Santos. Demgegenüber hatte die deutsche Bundesregierung vor dem Wahltag eine Reisewarnung für Venezuela ausgesprochen.

Erschienen am 9. Oktober 2012 in der Tageszeitung junge Welt