Ukraine: Gefährliches Spiel

Vermummte und bewaffnete Demonstranten stürmen Regierungsgebäude. Denkmäler für die Befreiung der Ukraine von der faschistischen Besatzung werden geschändet und zerstört. In den westukrainischen Oblasten Iwano-Frankiwsk und Ternopil, wo die Putschisten die Gouverneure zum Rücktritt gezwungen haben, verbieten von ihnen kontrollierte Gebietsräte die regierende Partei der Regionen und die Kommunistische Partei. Im Gegenzug bietet Staatspräsident Wiktor Janukowitsch der Opposition die Übernahme der Regierung an…

 

Trotzdem meldete sich unmittelbar nach der Erstürmung des Justizministeriums in Kiew in der Nacht zum Montag die dortige EU-Vertretung mit einer Mahnung an Janukowitsch zu Wort, seine in den vergangenen Tagen angebotenen Zugeständnisse auch umzusetzen. Für die Opposition fand man trotz der Vorboten einer an die Macht geputschten Diktatur weiter milde Worte. Der »friedliche Charakter der Demonstrationen« müsse »gewahrt bleiben«. Der SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl im Mai und Möchtegern-EU-Kommissionspräsident Martin Schulz predigte auf dem Sonderparteitag der Sozialdemokraten am Wochenende in Berlin: »Janukowitsch, stopp mit der Gewalt. Und rede mit deinem Volk, das ist der bessere Weg als der Unsinn, der da jetzt veranstaltet wird.« In der Deutschen Welle plädierte er für Sanktionen: »Konten einfrieren oder beschlagnahmen oder die Reisefreiheit von Mitgliedern der ukrainischen Führung begrenzen.«

Man muß Janukowitsch und sein jahrelanges strategisches Lavieren zwischen der EU und Rußland nicht mögen – aber die Verlogenheit und Heuchelei aus Brüssel und Berlin ist widerwärtig.

In Hamburg reichte ein offensichtlich sogar erfundener Angriff auf eine Polizeiwache, um über Teile der Stadt als »Gefahrengebiet« einen de-facto-Ausnahmezustand zu verhängen. In Wien genügten angekündigte Proteste gegen den Burschenschaftlerball am vergangenen Woche als Vorwand, um ein Vermummungsverbot zu erlassen, das letztlich sogar das Mitführen von Schals gegen die eisige Witterung untersagte. Davon, die dort Protestierenden in die Regierung aufzunehmen, war nichts zu hören. Und aus Brüssel gab es bislang auch keine Aufforderung an die Machthaber in Hamburg und Wien, den Demonstranten Zugeständnisse zu machen.

Es ist kein Zufall, daß der Auslöser für die Protestbewegung in der Ukraine die Weigerung der Regierung im vergangenen November war, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Was wir in diesen Tagen erleben, ist der gefährliche Versuch des Westens, über eine unappetitliche Allianz aus prodeutschen Statthaltern vom Schlage Witali Klitschkos und offenen Faschisten wie Oleg Tjagniboks »Swoboda« die Ukraine doch noch an Brüssel und Berlin zu fesseln und damit die strategische Einkreisung Rußlands enger zu schließen. Um soziale Rechte der Bevölkerung oder Demokratie geht es dabei weder den Lautsprechern im Westen noch den Oppositionsführern in Kiew.

Erschienen am 28. Januar 2014 in der Tageszeitung junge Welt