»Trump, go home!«

Zehntausende Menschen haben am Donnerstag (Ortszeit) auf der Avenida Bolívar im Zentrum der venezolanischen Hauptstadt Caracas an einer Großkundgebung zum Abschluss des Wahlkampfes teilgenommen. Präsident Nicolás Maduro rief in seiner Ansprache dazu auf, am Sonntag massenhaft an der Wahl zur verfassunggebenden Versammlung teilzunehmen. Jede Stimme für die Constituyente sei auch ein Votum gegen »Imperator« Donald Trump. Namentlich attackierte Maduro auch den mexikanischen Staatschef Enrique Peña Nieto als »Mörder« und Kolumbiens Präsidenten Juan Manuel Santos als »Vasallen« Washingtons. »Mr. Trump, go home!«, rief Maduro unter dem Jubel seiner Anhänger aus.

Zuvor hatte er der Opposition erneut ein Gesprächsangebot unterbreitet und deren Repräsentanten eingeladen, noch vor der Wahl oder zumindest vor der Konstituierung der verfassunggebenden Versammlung zu Gesprächen zusammenzukommen. Weiter regte er die Bildung einer Wahrheitskommission an, um die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate aufzuarbeiten und alle Verbrechen zu bestrafen.

Seit April halten in Venezuela die Proteste an. Konnten die Regierungsgegner zu Beginn wöchentlich Tausende Anhänger zu Großdemonstrationen mobilisieren, gibt es inzwischen vor allem militante Aktionen von Kleingruppen, die Barrikaden bauen, öffentliche Einrichtungen angreifen und sich Scharmützel mit Polizei und Militär liefern. Die in Venezuela »Guarimbas« genannten Aktionen stoßen mittlerweile auch bei vielen Regierungsgegnern auf Ablehnung, weil sie insbesondere in den Mittelschichtsvierteln das tägliche Leben behindern. Doch wer sich mit den Straßenkämpfern anlegt, lebt gefährlich: Wie der Fernsehsender Telesur am Freitag berichtete, wurden während der mehr als 100 Tage andauernden Protestwelle mindestens 30 Hassverbrechen registriert. Zusammengeschlagen, gelyncht oder bei lebendigem Leib verbrannt wurden Menschen, die von Militante für Regierungsanhänger gehalten wurden. Der vom Kulturministerium betriebene Rundfunksender Alba Ciudad nannte am Freitag die Zahl von 120 Personen, die im Zuge der Proteste ums Leben gekommen sind. Elf von diesen wurden demnach durch Sicherheitskräfte getötet, 39 Beamte seien deshalb festgenommen worden.

Maduro hatte am 1. Mai die Initiative zur Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung ergriffen, um damit einen gesellschaftlichen Dialog zu ermöglichen. Die Opposition lehnte eine Teilnahme an der Constituyente jedoch umgehend ab und wirft dem Staatschef vor, eine »handverlesene« Versammlung installieren zu wollen. Kritisiert wird von den Rechten vor allem das Wahlsystem. Neben 364 Abgeordneten, die aus den territorialen Wahlkreisen bestimmt werden, sowie acht Repräsentanten der indigenen Gemeinden werden 173 Abgeordnete nach Berufs- und Gesellschaftsgruppen durch die Angehören des jeweiligen Sektors gewählt: 24 Studenten, fünf Unternehmer, acht Bauern und Fischer, fünf Körperbehinderte sowie 79 Arbeiter.

Die Wahl findet – wie immer in Venezuela – unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. So sind das Tragen von Waffen und der Verkauf von Alkohol bis Dienstag verboten. Zudem verhängte Innenminister Néstor Reverol ein Verbot von Demonstrationen und Kundgebungen, »die den normalen Ablauf des Wahlprozesses beeinträchtigen«.

Die Einschränkung ist eine Antwort auf die jüngsten Aufrufe der Opposition, die mit Straßenblockaden die Teilnahme an der Abstimmung erschweren will. Bereits für Freitag hatte die Opposition zu einer »Besetzung von Caracas« bzw. »von Venezuela« aufgerufen, deren ausdrückliches Ziel war, »alle Hauptstraßen des Landes« zu sperren. Der Sprecher der Rechten, Freddy Guevara, kündigte an, dass die Regierungsgegner ab Mittag alle Plätze besetzen »und dort bleiben« würden.

Nach friedlichem Protest klingt das nicht. Es geht den Rechten darum, die Menschen einzuschüchtern und von der Wahl abzuhalten. Eine geringe Beteiligung würde es erlauben, der verfassunggebenden Versammlung die Legitimität abzusprechen. Sollten jedoch viele Menschen an der Abstimmung teilnehmen, ist die neue Propagandalinie bereits verkündet. »Es wählen zwei Personen, und Lucena sagt, dass es 28 Millionen Venezolaner waren«, kündigte Guevara am Donnerstag an, der Präsidentin des Nationalen Wahlrats (CNE), Tibisay Lucena, Manipulationen und Falschinformationen vorzuwerfen.

Erschienen am 29. Juli 2017 in der Tageszeitung junge Welt