Tränengas und Fußtritte

In Paris hat die französische Polizei am späten Sonntag abend ein von mehreren tausend Menschen nach spanischem Vorbild errichtetes Protestcamp geräumt. Obwohl sich die Teilnehmer der Aktion auf der Place de la Bastille im Zentrum der französischen Hauptstadt auf den Boden setzten, ihre Hände hoben und »Nein zur Gewalt« riefen, setzten die Beamten aus nächster Nähe Tränengas gegen die Protestierenden ein. Brutal wurden die untergehakten Demonstranten von den Polizisten aus den Reihen gerissen. Einige mußten sich mit auf den Rücken gefesselten Händen auf den Straßenboden legen. Im Internet veröffentlichte Videoaufnahmen zeigen zudem, wie Demonstranten noch im Gewahrsam der Polizei von Beamten getreten und geschlagen wurden.

Offizieller Grund für das gewaltsame Vorgehen war, daß die Kundgebung nur bis Sonntag abend um 20 Uhr genehmigt worden sei. Wenige Minuten danach begann der Aufmarsch der Sondereinsatzkommandos. Zu diesem Zeitpunkt waren so viele Demonstranten auf dem Platz wie nie zuvor seit dem 19. Mai, als in Paris die Solidaritätsaktionen für die spanische Demokratiebewegung begannen. Der Platz ist für Frankreich von großer symbolischer Bedeutung, denn hier stand einst die Bastille, mit deren Erstürmung am 14. Juli 1789 die Französische Revolution begann.

In Madrid solidarisierte sich die zeitgleich stattfindende Versammlung der dortigen Platzbesetzer mit den Demonstranten in Frankreich. Acampada Sol, das Protestcamp an der Puerta del Sol im Zentrum der spanischen Hauptstadt, »verurteilt entschieden das heutige Verhalten der Polizei in La Bastille. Ebenso unterstützen wir energisch unsere französischen Compañeras und Compañeros, die versprochen haben, es wieder versuchen zu wollen«, heißt es in der dort verabschiedeten und in mehreren Sprachen veröffentlichten Erklärung. Bei der bis spät in der Nacht dauernden Beratung, an der Schätzungen zufolge rund 3000 Menschen teilnahmen, wurde beschlossen, das Camp bis auf weiteres aufrechtzuerhalten. Zu dieser Entscheidung hat offenbar auch die Räumung in Paris beigetragen. »Vor ein paar Tagen war eigentlich klar, daß wir gehen würden, aber nach dem, was in Paris geschehen ist, und weil Vertreter der Camps in vielen Städten uns gebeten haben weiterzumachen, haben wir beschlossen, hierzubleiben«, sagte ein namentlich nicht genannter Sprecher der spanischen Nachrichtenagentur EFE.

Auch in Barcelona beschlossen die Besetzer auf der Plaça Catalunya am Wochenende, ihre Aktion mindestens bis zum heutigen Dienstag fortzusetzen. Dann soll beraten werden, ob das zentrale Camp durch dezentrale Veranstaltungen in den verschiedenen Vierteln der katalanischen Hauptstadt ersetzt wird. Auch hier hatte das Vorgehen der Polizei zu einer Wiederbelebung der Proteste geführt, nachdem am Freitag eine Räumung des Platzes am Widerstand der Besetzer gescheitert war.

Griechenland hat die Bewegung der »Empörten« inzwischen ebenfalls erreicht. In Athen demonstrierten am Sonntag abend erneut Zehntausende Menschen, der Fernsehsender Skai bezifferte die Zahl der Teilnehmer auf über 100000. Seit sechs Tagen gibt es auch auf dem Platz vor dem griechischen Parlament ein aus rund 50 Zelten bestehendes Protestcamp. Obwohl sich die Demonstranten dort kritisch gegenüber allen Parteien gezeigt haben, begrüßte die Generalsekretärin der griechischen KP, Aleka Papariga, die Aktionen. »Wir haben immer gesagt, daß die Menschen die Angelegenheiten in die eigene Hand nehmen müssen«, betonte die Politikerin in einem am Montag veröffentlichten Interview.

Erschienen am 31. Mai 2011 in der Tageszeitung junge Welt