Traditionsreiche Demo

Am Sonntag werden wieder Tausende Menschen an der traditionellen Demonstration zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht teilnehmen. Und viele weitere werden direkt zur Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde gehen, um an dem Stein mit dem Schriftzug »Die Toten mahnen uns« und an den Tafeln mit den Namen bekannter und heute weniger bekannter Revolutionäre Blumen niederzulegen.

Die Tradition der Ehrung reicht 99 Jahre zurück. Am 15. Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von Freikorps ermordet. Zehn Tage später trugen mehr als 100.000 Menschen Liebknecht und 32 während der Januarkämpfe in Berlin getötete Revolutionäre zu Grabe. Der Berliner Magistrat hatte der Kommunistischen Partei jedoch verboten, sie im Friedrichshain zu bestatten, wo auch die Opfer der Revolution von 1848 begraben sind. Er wies der KPD einen hinteren Bereich des Friedhofs Friedrichsfelde zu, der damals für Kriminelle vorgesehen war und »Verbrecherecke« genannt wurde. Nachdem am 1. Juni 1919 auch der Leichnam Rosa Luxemburgs gefunden worden war, der nach dem Mord in den Landwehrkanal geworfen worden war, gaben am 13. Juni auch ihr Tausende das letzte Geleit.

Ab 1920 erinnerte vor allem die KPD alljährlich im Januar mit Gedenkveranstaltungen und Demonstrationen an den Doppelmord und die Niederschlagung der Revolution. Als am 21. Januar 1924 Lenin starb, entschieden die Kommunisten, das Gedenken an den russischen Revolutionär und das an »Rosa und Karl« miteinander zu verbinden. Es entstand die Lenin-Liebknecht-Luxemburg-Ehrung. Jährlich führte die Kommunistische Partei »LLL-Wochen« durch, deren Höhepunkt die LLL-Feier in Friedrichsfelde wurde.

Denkmal für die Revolution

Nach jahrelangen Auseinandersetzungen konnte am 13. Juni 1926 in Friedrichsfelde ein von Ludwig Mies van der Rohe geschaffenes und durch Spenden finanziertes Revolutionsdenkmal eingeweiht werden. Auf roten Ziegeln prangte der Stern mit Hammer und Sichel. Jedes Jahr im Januar wurde dieses Denkmal nun das Ziel der LLL-Demonstrationen, die allerdings wiederholt von den Behörden verboten wurden. Am Mahnmal wurden dann auch weitere Kommunisten und Sozialisten beigesetzt. Die letzte öffentliche Kundgebung an diesem Denkmal fand im Februar 1933 statt, als zwei von den Nazis ermordete junge Kommunisten beigesetzt wurden. Vertreter des Kommunistischen Jugendverbandes und der Sozialistischen Arbeiterjugend reichten sich dabei die Hand und riefen zum gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus auf.

Nach ihrer Machtübernahme zerstörten die Faschisten das Mahnmal. Erst nach der Befreiung konnte die Tradition der Kundgebungen wieder aufgenommen werden. Am 13. Januar 1946 sprach der KPD-Vorsitzende Wilhelm Pieck vor einer in Friedrichsfelde provisorisch errichteten Nachbildung des von den Nazis zerstörten Denkmals. Es wurde jedoch nicht wiederaufgebaut. Statt dessen entstand eine neue Gedenkstätte am Eingang des Friedhofs, in deren Mittelpunkt nun ein großer Stein mit der Inschrift »Die Toten mahnen uns« steht. In der DDR entwickelten sich die LLL-Demonstrationen zu staatlich geplanten und durchorganisierten Großkundgebungen mit der Partei- und Staatsführung an der Spitze – zum letzten Mal 1989.

Kein Ende

Im Januar 1990 war es die damalige SED-PDS, die erneut dazu aufrief, in Friedrichsfelde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu erinnern. Die Nachrichtenagentur ADN berichtete damals: »Weit über drei Stunden zogen mehrere hunderttausend Demonstranten am Sonntag vormittag zur Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde und verneigten sich in ehrendem Gedenken an der letzten Ruhestätte der Vorkämpfer für einen demokratischen Sozialismus.« Die SPD hatte zu einer Gegenkundgebung auf dem Alexanderplatz aufgerufen.

1992 bewegte sich erstmals ein Demonstrationszug mit mehreren tausend Menschen vom damaligen Leninplatz (heute: Platz der Vereinten Nationen) nach Friedrichsfelde. An der Spitze wurde ein Wagen mit Steinen des Lenindenkmals mitgeführt, dessen Abriss am 8. November des Vorjahres gegen den Protest vieler Anwohner begonnen hatte. Die junge Welt hatte im Vorfeld angeboten, Lenin Asyl zu gewähren und das 19 Meter hohe Denkmal vor dem damaligen Redaktionsgebäude aufzustellen – der Senat lehnte ab.

Es blieb kein einmaliger Protest – auch in den folgenden Jahren mobilisierte die Leninplatzinitiative zu Demonstrationszügen. Die Teilnehmerzahl wuchs, und es begannen Teilnehmer aus anderen Städten nach Berlin zu kommen. Nach wie vor gingen zudem Zehntausende direkt zur Gedenkstätte der Sozialisten – 1993 sprach die Polizei von 50.000 Menschen, ein Jahr später von 80.000. Die Hoffnung der Behörden, dass sich die Demonstration »totlaufen« würde, erfüllte sich nicht. Also setzte man auf Repression. 1996 kam es erstmals zu nennenswerten Übergriffen der Polizei. Ein Teilnehmer erinnerte sich damals: »Die Demonstration bewegt sich durch die Straßen, begrüßt von Anwohnern und Passanten. Es herrscht eine freudige, friedliche Stimmung. Doch plötzlich zieht Polizei auf, Hundertschaften in voller Kampfmontur. Die Knüppel gezückt, die Schilde vor sich haltend, die Visiere geschlossen. Und dann knüppeln sie in die Demo – völlig grundlos, brutal und rücksichtslos.« Die junge Welt kommentierte, man setze »auf Angstmache und Repression«, nachdem die »Stigmatisierung als Treffen von ›Unbelehrbaren‹ offensichtlich nichts genützt« habe.

Verbotenes Gedenken

Im Januar 2000 wurden die inzwischen von einem breiten Bündnis veranstaltete Demonstration und das von der PDS organisierte »stille Gedenken« in Friedrichsfelde verboten. Anlass war ein anonymes Schreiben, in dem damit gedroht wurde, die Veranstaltung mit einer Maschinenpistole und Handgranaten zu attackieren. Die damalige Berliner PDS-Vorsitzende Petra Pau sagte im Namen der Partei die Ehrung ab und verzichtete darauf, das Demonstrationsverbot anzufechten. Trotzdem versammelten sich mehrere tausend Menschen am Frankfurter Tor und gingen gemeinsam zum Platz der Vereinten Nationen, dem Auftaktort der Vorjahre. Die Polizei versuchte immer wieder, den Zug gewaltsam aufzulösen und begründete das allen Ernstes damit, sie müsse »das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit« verteidigen. Nach ihren Angaben wurden mehr als 250 Menschen vorübergehend festgenommen. Die innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke, schrieb an Pau: »Ist Dir wirklich nicht in den Kopf gekommen, dass der Berliner CDU-Innensenator und die Polizei einen Durchgeknallten zum nützlichen Idioten missbrauchen, um gegen die seit Jahren von ihnen unerwünschte Aktion vorgehen zu können? Die PDS hätte juristisch und politisch gegen das Verbot vorgehen müssen.« Die Ehrung wurde eine Woche später nachgeholt, über 100.000 Menschen gingen zu den Gräbern in Friedrichsfelde. Mehrere tausend setzten außerdem in zwei Demonstrationszügen ein Zeichen gegen das Verbot der Vorwoche. Der Verfasser des Drohbriefs wurde im Dezember 2000 verhaftet – nicht infolge der Ermittlungstätigkeit der Polizei, sondern nach einem Hinweis aus der Bevölkerung.

Im Dezember 2006 wurde direkt am Eingang der Gedenkstätte der Sozialisten ein Stein für die »Opfer des Stalinismus« eingeweiht. Der damalige Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Walter Momper, versicherte damals, dass der Stein eine »notwendige Ergänzung«, aber »kein Gegenstück« zur Gedenkstätte sei. Viele Teilnehmer der jährlichen Ehrung empfinden ihn trotzdem als Provokation. Für eine solche nutzt ihn zumindest regelmäßig die Berliner Polizei. Immer wieder stürmten Beamte in den vergangenen Jahren den Friedhof, um den Stein vor einer befürchteten »Schändung« durch Demonstranten zu »schützen«. Trotzdem hat die (L) LL-Demonstration bisher allen Provokationen, Verboten und Schikanen getrotzt. Im vergangenen Jahr zählte die Berliner Polizei 3.500 Teilnehmer bei der Demonstration, andere Schätzungen lagen deutlich höher.

Erschienen am 13. Januar 2018 in der Tageszeitung junge Welt