Tödliche Kürzungen

Der Tod einer Immigrantin in Valencia droht die Beziehungen zwischen Bolivien und Spanien zu belasten. Wie das »Netzwerk von Frauen aus Lateinamerika und der Karibik« in dieser Woche anprangerte, starb die 42jährige María Soledad Torrico Vallejos am 20. Februar in ihrer Wohnung an den Folgen einer Bronchitis, da ihr ärztliche Hilfe verweigert worden sei. Zweimal sei seine Frau in medizinischen Einrichtungen als Notfall behandelt worden, zitiert das Netzwerk den Ehemann der Verstorbenen. Beim dritten Mal habe man von ihm jedoch Geld verlangt, weil Torrico Vallejos keine gültige Aufenthaltsgenehmigung besaß. Als sich der Zustand seiner Frau am 20. Februar dramatisch verschlechterte, habe er einen Rettungswagen gerufen, doch der sei nicht gekommen. »Wegen eines Schnupfens fahren wir nicht los«, habe es am Telefon geheißen, berichtete die regionale Tageszeitung Levante. »Wenn meine Frau gut betreut worden wäre, wäre sie jetzt nicht tot«, klagt Jesús B. Seit zehn Jahren lebte das Paar mit ihrer heute 20 Jahre alten Tochter in Spanien, doch aufgrund der bürokratischen Schwierigkeiten, die einer Legalisierung ihres Aufenthalts im Wege standen, besaßen sie keine gültigen Papiere.

 

Die Angehörigen der Verstorbenen wollen Medienberichten zufolge nun die spanischen Behörden wegen unterlassener Hilfeleistung verklagen. Auch in Bolivien wird die Angelegenheit inzwischen offenbar auf höchster Ebene behandelt. Das Konsulat des Andenstaates in Valencia zeigte sich auf jW-Nachfrage am Freitag zwar informiert über den Vorgang, verwies für genauere Auskünfte jedoch an das Außenministerium in La Paz.

»Der Tod von Soledad beweist einmal mehr das Fehlen von Garantien für die Einhaltung der Menschenrechte im spanischen Staat, eine Folge der betriebenen Strukturanpassungspolitik«, erklärte das lateinamerikanische Frauennetzwerk und verweist auf das Königliche Dekret 16/2012, das im vergangenen September in Kraft trat und den Zugang zu medizinischer Behandlung auf diejenigen beschränkt, die einen gültigen Versicherungsschutz nachweisen können. Das stelle »das Recht der Bürger auf allgemeinen Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung in Frage«, kritisierte damals bereits Spaniens größter Gewerkschaftsbund CCOO. Das Menschenrecht auf ärztliche Betreuung werde zu einer Versicherungsdienstleistung degradiert, so die zuständige Branchenföderation der Comisiones Obreras. Der aus Bolivien stammende Rundfunkmoderator Freddy Morales, der in seinem über den Lokalsender Cadena Sur ausgestrahlten Radioprogramm als erster über den Fall berichtet hatte, erinnert zudem an die Kürzungen von mehr als zehn Milliarden Euro, die die spanische Regierung allein im Gesundheitsbereich durchgesetzt hat. Gegen diese Einsparungen hatten sich am vergangenen Wochenende große Protestkundgebungen in vielen Städten Spaniens gerichtet, an denen sich auch zahlreiche empörte Bolivianer beteiligten, um an ihre verstorbene Landsfrau zu erinnern.

Erschienen am 2. März 2013 in der Tageszeitung junge Welt