Stühlerücken in Caracas

Venezuelas Präsident Nicolás Maduro übt sich in Aktionismus. Seit der Staatschef bei der Wahl am 20. Mai mit 67,8 Prozent der Stimmen in seinem Amt bestätigt wurde, legt er hektische Betriebsamkeit an den Tag. So traf er sich mit politischen Widersachern, Unternehmern und ausländischen Diplomaten sowie mit Vertretern der ihn unterstützenden Organisationen. Wenige Tage nach der Wahl wurden zudem Dutzende Inhaftierte auf freien Fuß gesetzt, für Maduro ein Angebot zur Versöhnung an die rechte Opposition. Am Dienstag weihte er im Bundesstaat Miranda neue Busse ein und versprach eine schnelle Lösung der bestehenden Probleme im öffentlichen Nah- und Fernverkehr.

Auch neue Gesichter in seiner Regierung sollen den Aufbruch verdeutlichen. In der vergangenen Woche besetzte Maduro zahlreiche Ministerämter um. Neue Vizepräsidentin ist die bisherige Chefin der im vergangenen Jahr gewählten Verfassunggebenden Versammlung, Delcy Rodríguez. Sie löste Tareck El Aissami ab, der als Industrieminister die Produktion ankurbeln soll. Zwar sind viele der neuen Minister alte Bekannte, doch Beobachter hoben hervor, dass der Staatschef zahlreiche Militärs durch Zivilisten ersetzt hat. Nur noch Verteidigungsminister Vladimir Padrino López und der Chef des Innenressorts, Néstor Reverol, gehören den Bolivarischen Streitkräften an. Im Gegenzug und wohl als Geste an die Uniformierten wurde Diosdado Cabello am Dienstag (Ortszeit) zum neuen Präsidenten der Verfassunggebenden Versammlung gewählt – der Vizechef der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) hatte sich als Leutnant am 4. Februar 1992 an der Seite von Hugo Chávez am Aufstand gegen den Staatschef Carlos Andrés Pérez beteiligt.

Die Menschen in Venezuela warten jedoch nach wie vor auf für sie spürbare Maßnahmen gegen die dramatische Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Inflation galoppiert weiter: Zwar liegt der offizielle Wechselkurs derzeit bei 80.000 Bolívares für einen US-Dollar, doch selbst bei legalen Wechselstellen, deren Betrieb Venezuelas Regierung drei Privatunternehmen erlaubt hat, erhält man für einen Dollar mittlerweile 2,2 Millionen Bolívares. Die Preise klettern ebenfalls ungebremst – der monatliche Mindestlohn reicht nicht einmal mehr dafür aus, täglich ein Ei zu essen. Immer mehr Menschen geben die Hoffnung auf, dass sich die Lage bald normalisieren könnte, und verlassen ihre Heimat.

Am Dienstag wählte die Verfassunggebende Versammlung einstimmig Calixto Ortega Sánchez zum neuen Präsidenten der Zentralbank Venezuelas. Ortega war bisher Finanzchef von Citgo, dem vom venezolanischen Erdölkonzern PDVSA in den USA betriebenen Netz von Tankstellen und Erdölraffinerien. Nachdem er im Mai zur Teilnahme an der Wahl nach Venezuela gereist war, hatte Washington Ortega wegen angeblicher Visaprobleme die Rückkehr verweigert. Ob unter seiner Führung eine Stabilisierung der Staatsfinanzen gelingt, bleibt abzuwarten. Eine von Maduro ursprünglich für Juni angekündigte Währungsreform ist bereits um zwei Monate verschoben worden, nachdem die Banken organisatorische Probleme bei deren Umsetzung geltend gemacht hatten.

Inzwischen melden sich auch die mit Maduros PSUV (Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas) verbündeten Kräfte wieder zu Wort, die sich im Wahlkampf mit Kritik zurückgehalten hatten. »Heimatland für alle« (PPT) forderte etwa am Dienstag eine schnellere Veränderung der Wirtschaftspolitik, um die Lage in den Griff zu bekommen. Zudem kritisierte die linkssozialdemokratische Partei, dass Maduro entgegen anderslautender Versprechen während der Kampagne seine jüngsten Maßnahmen erneut nicht mit den anderen Kräften koordiniert habe. Auch der Generalsekretär der Kommunistischen Partei (PCV), Óscar Figuera, verlangte am Montag bei einer Pressekonferenz in Caracas, dass sich die neuen Minister den Verbündeten stellen sollten. Die Kabinettsreform sei ein »erster Schritt in die richtige Richtung« gewesen, man wolle nun aber die Vorhaben der Regierung erfahren.

Erschienen am 21. Juni 2018 in der Tageszeitung junge Welt