Stühlerücken in Brüssel

Nach der Europawahl vom 25. Mai ist im EU-Parlament Stühlerücken angesagt. Während die ausscheidenden Abgeordneten ihre Büros räumen, machen sich die neuen Parlamentarier mit Brüssel und Strasbourg vertraut. Die erstmals im Parlament vertretenen Parteien müssen zudem entscheiden, welcher Fraktion sie ab dem offiziellen Beginn der Legislaturperiode am 1. Juli angehören wollen. Einige der Neulinge haben sich für die »Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke« (GUE/NGL) entschieden. Deren bisherige Chefin Gabriele Zimmer (Die Linke) konnte am Mittwoch verkünden, daß ihre Gruppe auf künftig 52 Abgeordnete anwachsen werde, 17 mehr als bisher.

Allerdings verschiebt sich das politische Spektrum. Während die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) mitteilte, ihre beiden Vertreter würden aus der GUE/NGL ausscheiden (jW berichtete), kündigte Zimmer die Aufnahme von sechs neuen Parteien in ihre Gruppe an. Zu diesen soll auch die deutsche Tierschutzpartei gehören, die künftig mit ihrem Chef Stefan Eck im Parlament vertreten ist. Doch während Zimmer den neuen Fraktionskollegen »herzlich begrüßt«, kommt aus ihrer eigenen Partei Kritik, besonders wegen von der Tierschutzpartei gebrauchten Vergleichen zwischen Massentierhaltung und Hitlerfaschismus. So hatte Eck vor einigen Jahren eine »Mahnwache« vor der KZ-Gedenkstätte Dachau durchgeführt und dabei ein Schild mit der Aufschrift »Für Tiere ist jeden Tag Dachau« hochgehalten. »Eine Haltung, die die außer Frage stehenden unerträglichen Bedingungen in der Massentierhaltung mit den Verbrechen des Holocaust vergleicht, ist inakzeptabel, « unterstrich die Abgeordnete Sabine Lösing am Donnerstag gegenüber junge Welt. Sie habe für die Linke-Delegation in der Fraktionssitzung Bedenken gegenüber dem Programm der Tierschutzpartei geäußert und kritische Nachfragen gestellt, so Lösing. Diese Bedenken seien von der Mehrheit der Fraktion jedoch nicht geteilt worden.

Eck selbst war für jW nicht erreichbar. So konnten wir auch nicht erfahren, wie seine Partei den Widerspruch zwischen ihrem Wahlprogramm und den Positionen der GUE/NGL auflösen will. Die Tierschutzpartei verlangt etwa, daß die EU noch mehr Eingriffe in die nationale Haushaltspolitik der Mitgliedsländer vornehmen darf, will die Bürger durch einen »europäischen Solidaritätszuschlag« für die Etatsanierung zur Kasse bitten und meint, »zur Bewältigung der momentanen Krise« seien »Einschnitte in unseren Lebensstandard notwendig«. »Die Linke teilt die Aussagen dazu und auch einige andere in ihrem Programm nicht«, so Lösing.

Das dürfte auch die spanische PODEMOS so sehen, die am 25. Mai aus dem Stand fünf Mandate gewinnen konnte. Die Protestpartei um den Fernsehmoderator Pablo Iglesias schließt sich ebenso wie ihre etablierte Konkurrenz Vereinigte Linke (IU), die ihre Präsenz im Parlament von zwei auf sechs Abgeordnete verdreifachte, der GUE/NGL an. Zudem gehört der Fraktion künftig auch die baskische Linksallianz Bildu an, die ein Mandat erreichen konnte. Bisher war ihr Vertreter Mitglied der Fraktion der Grünen gewesen. Die italienische Linke kehrt mit dem Bündnis »Das andere Europa« in die Fraktion zurück. Die Allianz war unter anderem von der Rifondazione Comunista, den Linksökologen der SEL und der italienischen Piratenpartei gegründet worden. Zu den weiteren Mitgliedern der GUE/NGL gehören die griechische SYRIZA, die Portugiesische Kommunistische Partei und die französische Linksfront – sowie die Abgeordnete der niederländischen Tierschutzpartei Partij voor de Dieren, Anja Hazekamp. Diese teilte auf der Homepage ihrer Organisation mit, daß sie sich zunächst die rechte Fraktion der »Europäischen Konservativen und Reformisten« (EKR) angeschaut habe, sich aber nicht deren Fraktionsdisziplin unterwerfen wolle. Mitglied dieser EKR, der neben den britischen Konservativen auch ultrarechte Kräfte wie die »Wahren Finnen« oder die »Dänische Volkspartei« angehören, ist hingegen die »Alternative für Deutschland« (AfD) geworden. Damit kooperiere sie mit »abstoßenden offenen Rassisten«, kritisierte der Grünen-Parlamentarier Sven Giegold: »Diese Zusammenarbeit widerlegt alle Abgrenzungsversuche der AfD von Rechtsextremen.«

Erschienen am 13. Juni 2014 in der Tageszeitung junge Welt