Sprint zur Constituyente

Ende Juli finden in Venezuela die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung, der Constituyente, statt. Am 10. Dezember werden dann die Gouverneure und Regionalparlamente der Bundesstaaten gewählt. Das kündigte der Nationale Wahlrat (CNE) in der vergangenen Woche an. Der Zeitplan, den sich die Wahlbehörde gegeben hat, ist durchaus sportlich. Bereits an diesem Mittwoch und Donnerstag soll auf der Home­page des CNE ein Formular bereitgestellt werden, über das Interessierte ihre Kandidatur für die Constituyente anmelden können.

»Die Wahl findet auf zwei Ebenen statt«, erläuterte CNE-Präsidentin Tibisay Lucena am vergangenen Donnerstag (Ortszeit) bei einer Pressekonferenz. 364 Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung werden in territorialen Wahlkreisen bestimmt. Hinzu kommen acht Repräsentanten der indigenen Gemeinschaften sowie 173 Abgeordnete, die als Vertreter ihrer jeweiligen sozialen Gruppe gewählt werden: 24 Studenten, acht Bauern und Fischer, fünf Unternehmer, fünf Menschen mit Behinderungen, 28 Rentner, 79 Arbeiter sowie 24 Sprecher der Kommunen, wie die lokalen Basisorganisationen der Volksmacht genannt werden.

Damit haben sich die Gewichte in der Constituyente gegenüber den ursprünglichen Ankündigungen von Staatspräsident Nicolás Maduro verschoben. Dieser hatte am 1. Mai erklärt, jeweils die Hälfte aller Mitglieder der Verfassunggebenden Versammlung solle territorial und »sektorial« bestimmt werden, nun ist das Verhältnis zwei Drittel zu einem Drittel. Das ist ein Zugeständnis an die Kritiker, die Maduro vorgeworfen hatten, eine »handverlesene« Versammlung schaffen zu wollen.

Trotzdem lehnt die Opposition die Constituyente weiter ab und will die Wahl boykottieren. Félix Arroyo von der sozialdemokratischen Opposi­tionspartei Acción Democrática kritisierte im Gespräch mit der in Maracaibo erscheinenden Tageszeitung Pano­rama etwa, dass in jedem Bezirk ein Abgeordneter gewählt werden solle. Das benachteilige die Opposition, die in den bevölkerungsreichen Zentren der Städte stark sei, während sich die »Chavistas« auf die kleinen Wahlkreise auf dem Land stützen könnten.

Die Rechtsallianz will sich offenkundig in den Schmollwinkel zurückziehen und die Ergebnisse der Abstimmung nicht anerkennen. Zugleich polemisiert sie auch gegen die Einberufung der überfälligen Regionalwahlen – obwohl sie diese seit Monaten gefordert hatte. Sie seien nur deshalb auf Dezember verschoben worden, damit die Constituyente ihre Durchführung absagen könne, behauptete am Freitag Roberto Picón, ein führender Funktionär des Oppositionsbündnisses MUD (Tisch der demokratischen Einheit), im Gespräch mit dem Online­portal KonZapata. Im eigenen Lager ist man sich jedoch nicht einig, wie man mit dem Urnengang im Dezember umgehen soll. Man werde am Donnerstag eine »strategische Diskussion« beginnen, kündigte die MUD am Wochenende auf ihrer Homepage an. Zugleich forderten die Regierungsgegner die Streitkräfte offen zum Putsch auf, um die Durchführung der Wahlen zur Constituyente zu verhindern. Diese sei »nicht vom Volk beschlossen worden«, bekräftigte die MUD ihre Forderung, die Verfassunggebende Versammlung müsse durch ein Referendum bestätigt werden.

Die Opposition argumentiert, dass auch die auf Initiative von Hugo Chávez gebildete Constituyente 1999 durch eine Volksabstimmung einberufen wurde. Damals galt allerdings noch die Verfassung von 1961, die gar keine Änderung des Grundgesetzes vorgesehen hatte. Um das zu umgehen, war die Befragung vorgeschaltet worden. Die in der Folge 1999 verabschiedete Verfassung weist dagegen unter anderem dem Staatschef die Befugnis zu, die Initiative zu einer Constituyente zu ergreifen. Noch vor drei Jahren hatte das sogar der heutige Parlamentsvizepräsident Freddy Guevara so gesehen. »Nicolás Maduro könnte noch morgen zusammen mit dem Ministerrat eine Pressekonferenz einberufen und sagen: Ich aktiviere einen verfassunggebenden Prozess«, erklärte er damals dem Diario de Caracas. Inzwischen will er davon nichts mehr wissen.

Erschienen am 29. Mai 2017 in der Tageszeitung junge Welt