Spielball der Mächte

Die europäischen Medien sind sich einig: Jean-Claude Duvalier ist ein »Despot« (stern.de), »raffgierig und brutal« (Südwest Presse), seine Rückkehr nach Port-au-Prince »die nächste Katastrophe für Haiti« (Welt online). Recht haben sie. Doch die einstimmige Empörung über »Baby Doc«, dessen Herrschaft über den Karibikstaat zwischen 1971 und 1986 mindestens 30000 Haitianern das Leben kostete, lenkt von Hintergründen und Hintermännern ab. Schon als Duvalier 1971 als 19jähriger die Macht in Haiti von seinem Vater erbte, sorgten die USA mit vor die Küste des Landes entsandten Kriegsschiffen dafür, daß die Machtübergabe reibungslos funktionierte. Als er 1986 gestürzt wurde und nicht mehr zu halten war, fand er in Frankreich Unterschlupf. Die einstige Kolonialmacht verhinderte in den 90er Jahren sogar, daß Duvalier wegen der unter seiner Herrschaft begangenen Menschenrechtsverletzungen vor Gericht gestellt werden konnte.

Schweizer Richter verhindern bis heute, daß die von ihm zusammengeraubten Millionen Haiti zugute kommen. Und die Regierung in Bern hat sich bis zum vergangenen Jahr Zeit gelassen, durch eine Gesetzesänderung eine Freigabe des Geldes an die haitianische Regierung zu ermöglichen. Frankreich verweigert selbst nach dem verheerenden Erdbeben vom 12.Januar vergangenen Jahres eine Rückgabe der nach heutigem Wert umgerechnet 17 Milliarden Euro, die Haiti ab 1825 für die Anerkennung seiner Unabhängigkeit durch die Kolonialherren bezahlen mußte. Statt dessen sagte Staatschef Sarkozy Haiti einen »Schuldenerlaß« und Hilfsgelder zu.

Der bitterarme Staat ist seit Jahrzehnten ein Spielball der USA und europäischer Mächte. Wann immer es in ihrem Interesse zu liegen schien, griffen vor allem Washington und Paris mit Waffengewalt in Haiti ein. Von 1915 bis 1934 hielten die USA das Land komplett besetzt, plünderten es aus und zwangen die Menschen zur Fronarbeit. Nach nur wenigen Jahren »Freiheit« folgte dann die jahrzehntelange, vom europäischen Faschismus inspirierte Diktatur von Vater und Sohn Duvalier. Die nach 1986 folgende »Demokratie« hielt nicht lange, schon 1991 – ein Jahr nach seiner Wahl – wurde Präsident Jean Bertrand Aristide von rechten Militärs weggeputscht und war auf die USA angewiesen, die ihn 1994 wieder in sein Amt einsetzten. Unklar ist bis heute, welchen Preis Aristide dafür zahlen mußte, aber von seinen ursprünglichen Reformversprechungen blieb wenig übrig. Als er den USA trotzdem unbequem wurde, wurde er im Februar 2004 gestürzt und ins Exil gebracht. Offiziell heißt es, er sei »geflohen«, Aristide selbst erklärte, er sei von US-Soldaten gegen seinen Willen aus Haiti verschleppt worden. Washington dementierte halbherzig: Man sei nur bei der Flucht »behilflich« gewesen.

Wer von Imperialismus, Kolonialismus und Ausbeutung nicht sprechen will, sollte auch zu Duvalier schweigen.

Erschienen am 20. Januar 2011 in der Tageszeitung junge Welt und am 21. Januar 2011 in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek