Spiel mit dem Feuer

Uribe will ablenken. Wenige Tage vor dem Ende seiner Amtszeit ist die Bilanz des scheidenden kolumbianischen Präsidenten weit von dem entfernt, was er einst versprochen hatte. Die offizielle Erwerbslosenrate liegt konstant über zwölf Prozent und hatte im vergangenen Januar mit 14,6 Prozent den höchsten Wert der vergangenen sechs Jahre erreicht. Unzählige Skandale erschütterten die Regierung immer wieder, seien es die Verhaftung von Abgeordneten der Regierungsparteien wegen ihrer Verbindungen zu den paramilitärischen Banden oder das Abhören von Oppositionellen und ausländischen Staatschefs. Auch die Ermordung unschuldiger Jugendlicher, die dann vom Militär als »im Kampf gefallene Guerilleros« präsentiert wurden, fällt in seine Verantwortung. In dieser Woche hätte die Arbeit einer internationalen Untersuchungskommission, die in La Macarena mehrere Massengräber untersucht, Schlagzeilen machen können. Bogotá verhinderte dies erfolgreich mit der unvermittelten Präsenta­tion von »Beweisen« über die Präsenz von Guerilleros in Venezuela.

Doch es sind nicht nur innenpolitische Gründe, die für die jüngste Zuspitzung in den Beziehungen zwischen Kolumbien und Venezuela gesorgt haben. Einflußreiche Kräfte auf beiden Seiten der Grenze haben vor allem im Vorfeld der Parlamentswahlen im September kein Interesse daran, daß die Lage in Venezuela ruhig und stabil bleibt. Trotz mancher Kritik an dem Verhalten der Abgeordneten aus der Regierungspartei PSUV in den vergangenen Jahren dürfte das revolutionäre Lager dann seine Mehrheit verteidigen. Die heterogene Opposition ist nicht in der Lage, ein konkretes Alternativprogramm vorzulegen, das über Schlagwörter wie »Hoffnung« und »Freundschaft« hinausgeht. Deshalb setzen Teile der Regierungsgegner wieder auf Gewalt; dafür spricht die Festnahme international gesuchter Terroristen durch die venezolanischen Behörden in den vergangenen Tagen. Hinzu kommen auch aus Kolumbien eingesickerte Gruppen von Paramilitärs, und das längst nicht mehr nur in der Grenzregion zum Nachbarland, sondern auch in den Armenvierteln der großen Städte.

Kolumbien spielt mit dem Feuer. Doch auch wenn sich die Lage wie in den vergangenen Jahren diesmal schnell wieder entspannen sollte, besteht immer die Gefahr, daß die durch Bogotá entfachten Funken irgendwann zu einem Flächenbrand werden. Es war Kolumbien und nicht etwa Venezuela, dessen Truppen 2008 in Ecuador einfielen. Dabei ist es ganz besonders zynisch, daß ausgerechnet auf dem damals als Verteidigungsminister für die Aggression politisch Verantwortlichen, Juan Manuel Santos, nun die Hoffnungen ruhen, nach seinem Amtsantritt als Präsident Kolumbiens am 7. August die Beziehungen zu Venezuela und den anderen Nachbarländern zu normalisieren.

Erschienen am 24. Juli 2010 in der Tageszeitung junge Welt