Sonderfall Steiermark

Claudia Klimt-Weithaler kann sich ein freches Grinsen nicht verkneifen: »Als wir das zweite Mal in den Landtag eingezogen sind, war das fast noch schöner als beim ersten Mal, denn niemand hat uns das zugetraut.« Im Jahr 2005 hatte Ernest Kaltenegger die Sensation geschafft und die Kommunistische Partei Österreichs nach 35 Jahren wieder in ein österreichisches Regionalparlament gebracht. Er galt als Original der österreichischen Politik, denn ab 1981 hatte er für die »Kummerln« im Gemeinderat von Graz gesessen und dieses Mandat sogar über den Zusammenbruch des Ostblocks hinweg verteidigen können. Da die Lokalregierung der knapp 290.000 Einwohner zählenden Landeshauptstadt proportional nach der Stärke der im Gemeinderat vertretenen Parteien besetzt wird, wurde Kaltenegger 1998 sogar Stadtrat und übernahm die Verantwortung für die städtischen Gemeindewohnungen.

Der Start war schwierig, denn sein Vorgänger hatte das Büro komplett leergeräumt und lediglich eine Flasche Wodka als Begrüßungsgeschenk im Kühlschrank zurückgelassen. Doch Kaltenegger suchte sich die benötigten Möbel zusammen und machte sich an die Arbeit. So sorgte er dafür, dass die städtischen Wohnungen, die oft heruntergekommen und ohne sanitäre Einrichtungen waren, saniert wurden, ohne dass dies zu Lasten der Mieter ging. Das machte ihn populär – und außerhalb von Graz wurde kolportiert, dass das »K« im Parteikürzel dort nicht für »kommunistisch«, sondern für Kaltenegger stehe. Als dieser vor den Wahlen 2010 ankündigte, nicht mehr kandidieren zu wollen, war für Österreichs Medien deshalb ausgemacht, dass die Sonderrolle der Partei in der Steiermark zu Ende sein würde. Denn im Rest Österreichs kommt die KPÖ selten über den Status der »Sonstigen« hinaus.

Doch die Überraschung wurde geschafft. Mit 4,41 Prozent der Stimmen im Jahr 2010 und 4,22 Prozent fünf Jahre später ist die KPÖ dank ihres »Grundmandats« in Graz weiter mit zwei Abgeordneten im Landtag vertreten. Neben Klimt-Weithaler hält Werner Murgg die rote Fahne im Grazer Landhaus hoch, einem Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert, dessen Architektur kaum zu der modernen Einrichtung des Plenarsaals passt.

Einmal im Jahr schaffen es die steirischen Kommunisten sogar in die überregionalen Medien, denn dann legen sie ihre Einkünfte offen. Klimt-Weithaler und Murgg behalten, ebenso wie die Grazer KPÖ-Stadträte Elke Kahr und Robert Krotzer, maximal 2.300 Euro im Monat und verzichten damit auf mehr als zwei Drittel ihrer Bezüge. Das Geld überweisen sie auf ein Konto, aus dem Menschen in Notlagen unterstützt werden. Allein im vergangenen Jahr flossen so insgesamt mehr als 175.000 Euro an 1.637 Personen bzw. Familien. Dafür ernten die Kommunisten durchaus Kritik. Den einen gilt das als Stimmenkauf, den anderen als reformistische »Caritas-Politik«.

Klimt-Weithaler kann das nicht nachvollziehen. Die Beschränkung der Einkünfte der Abgeordneten sei eine Tradition der europäischen revolutionären Bewegung seit den Tagen der Pariser Commune, meint sie im Gespräch mit junge Welt. Es gehe darum, keinen Abstand zu den Menschen aufzubauen, die sie vertreten soll. »Wenn ich die vollen Bezüge behalten würde, würde ich sicherlich weniger mit Bahn und Bus fahren.« Zudem habe der Verzicht auf die hohen Gehälter dazu beigetragen, die Partei frei von Karrieristen und Opportunisten zu halten, ergänzt Krotzer. So habe die KPÖ die Glaubwürdigkeit bewahren können, die schon Kaltenegger ausgezeichnet hatte.

Auf dessen Initiative hin war Anfang der 1990er Jahre in Graz ein »Mieternotruf« eingerichtet worden, um Menschen schnell und unbürokratisch helfen zu können. Es gibt ihn auch heute noch. Als ich in der vergangenen Woche im Volkshaus der Landesleitung der KPÖ einen Besuch abstatte, klingelt prompt der Apparat. Ein Grazer braucht Beratung, der Genosse im Büro gibt ihm die Nummer von Stadträtin Elke Kahr. Dabei ist sie in der Kommunalregierung inzwischen für Straßen und Verkehrsplanung zuständig und nicht mehr – wie von 2005 bis 2017 – für Wohnungen und Mieten. Als Nachfolgerin Kalteneggers hatte sie in dieser Funktion unter anderem durchgesetzt, dass die rund 20.000 Grazerinnen und Grazer, die in städtischen Wohnungen leben, höchstens ein Drittel ihres Monatsgehalts für Miete aufbringen müssen.

Der Konkurrenz waren die Erfolge der Kommunisten ein Dorn im Auge. Als die konservative ÖVP und die ultrarechte FPÖ Anfang 2017 eine Koalition bildeten, entzogen sie Kahr mit ihrer Stimmenmehrheit die Verantwortung für die Wohnungsfragen. »Sie können uns das Amt nehmen, aber nicht die Kompetenz«, sagte Kahr daraufhin. Und tatsächlich ist der Einsatz für Mieterinnen und Mieter ein zentrales Standbein der Grazer Kommunisten geblieben.

Krotzer, der im Stadtrat für Gesundheit und Soziales zuständig ist, verrät ein weiteres Erfolgsgeheimnis seiner Partei in Graz: Man beteilige sich nicht an Gekungel und Kompromissen. Stolz erzählt er, wie die KPÖ 2015 im Gemeinderat ein »Zwölf-Punkte-Programm« vorlegte, als Konservative und Sozialdemokraten eine Mehrheit für den Haushalt benötigten. Öffentlich verlangten die Kommunisten unter anderem die Halbierung des Preises der Jahreskarte für den öffentlichen Nahverkehr, den Verzicht auf Personalabbau, Privatisierungen und Mieterhöhungen sowie eine Senkung der Parteienfinanzierung als Bedingung für ihre Zustimmung zum Etatentwurf. Zugleich lehnten sie Verhandlungen über ihre Forderungen ab – und setzten sich durch. Der von ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl vorgelegte und im Gemeinderat verabschiedete Etat enthielt »deutliche KPÖ-Spuren«, wie sogar die Wiener Tageszeitung Der Standard feststellte.

Die radikale Linie der steirischen Kommunisten hat sie auf Distanz zur KPÖ im übrigen Österreich gebracht. Seit 2004 beteilige man sich nicht mehr an den Parteitagen und sei auch nicht mehr im Parteivorstand vertreten, berichtet Krotzer im Gespräch mit junge Welt. Als einen zentralen Streitpunkt nennt er das Verhältnis zur Europäischen Union, die von den Kommunisten der Steiermark abgelehnt wird. In ihrem Parteiprogramm »Sozialismus in Rot-Weiß-Rot« schreiben sie, dass die EU »nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems« sei. »Die EU ist ein Brandbeschleuniger der Krise. Sie kurbelt den Teufelskreis von Sozialabbau und Lohndrückerei an. Sie versucht immer heftiger mit militärischer Gewalt Einflusssphären und Rohstoffe zu sichern.« Angesprochen auf den beginnenden Europawahlkampf der Bundespartei, die als »KPÖ Plus« antritt, hat Krotzer deshalb nur ein Schulterzucken übrig. Viel wichtiger sind ihm die Wahlen zur Österreichischen HochschülerInnenschaft, der Vertretung der Studierenden, sowie zur Arbeiterkammer, in der praktisch jeder abhängig Beschäftigte automatisch Mitglied ist.

Längerfristig steckt die steirische KPÖ damit jedoch in einem Dilemma. Sie hält sich von der Gesamtpartei fern – und ist doch Teil von ihr. Als Regionalorganisation wird man alleine keine Revolution machen können, aber von der Mutterpartei – der schon Gregor Gysi eine sozialdemokratische Programmatik bescheinigte – ist revolutionäre Politik ebenfalls nicht zu erwarten. Käme die Partei der Arbeit (PdA) in Frage, die 2013 als Abspaltung von der KPÖ gegründet wurde und die in der Steiermark über keine Strukturen verfügt. Doch manchen PdA-Mitgliedern gelten die steirischen Kommunisten als »Hinterzimmerrevolutionäre«, die sich »gänzlich sozialdemokratischer Reformpolitik, karitativem Gönnertum und hohlen Phrasen widmen«, wie es in einem Ende November auf der Homepage der PdA veröffentlichten Artikel aus der Theoriezeitschrift Einheit und Widerspruch heißt. Robert Krotzer setzt deshalb auf ein »Bündnis mit der Bevölkerung«, wie er junge Welt sagt. »Revolutionäre Politik muss sich überall in der Praxis bewähren, und in der Praxis werden auch die Bündnisse entstehen, mit denen man den großen Zielen näher kommt.«

Erschienen am 28. März 2019 in der Tageszeitung junge Welt