Solidarität mit Bolivien!

International ist der am Sonntag gewaltsam erzwungene Rücktritt des bolivianischen Präsidenten Evo Morales scharf verurteilt worden. Verantwortlich für den Staatsstreich seien »gewalttätige Zivilisten, Polizisten, die sich in die Kasernen zurückgezogen hatten, und die Passivität der Armee«, schrieb Argentiniens neugewählter Präsident Alberto Fernández am Montag morgen auf Twitter. Der erst am Freitag aus der Haft entlassene brasilianische Expräsident Luiz Inácio Lula da Silva bezeichnete es als »traurig«, dass die ökonomische Elite Lateinamerikas nicht in der Lage sei, »in Demokratie zusammenzuleben und die Ärmsten gesellschaftlich einzubeziehen«. Kubas Präsident Miguel Díaz-Canel rief nach dem »gewaltsamen und feigen Putsch« die Welt auf, für das Leben und die Freiheit von Evo Morales auf die Straße zu gehen. In Großbritannien verurteilte Oppositionsführer Jeremy Corbyn den »Putsch gegen das bolivianische Volk«. Die russische Regierung zeigte sich in einem offiziellen Statement »zutiefst besorgt« über den »orchestrierten Staatsstreich«. Viele Kommentatoren erinnerten daran, dass Bolivien in den vergangenen Jahren von politischer Stabilität und wirtschaftlichem Aufschwung geprägt war. 2006 hatte Bolivien die Bodenschätze nationalisiert, vor allem die weltgrößten Vorkommen an Lithium, das für Mobiltelefone, Computer und Elektroautos gebraucht wird. Die Gewinne aus dem Gas- und Lithiumexport blieben so im Land und kamen auch der armen und indigenen Landbevölkerung zugute. Das könnte einer der Gründe für den Sturz Morales’ gewesen sein, erklärte der Journalist José Manzaneda am Montag im Gespräch mit dem russischen Fernsehsender RT.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini rief »alle Parteien« in Bolivien zur »Zurückhaltung und Verantwortung« auf. Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, begrüßte am Montag in Berlin den Rücktritt des bolivianischen Präsidenten als »wichtigen Schritt hin zu einer friedlichen Lösung«. Selbst auf mehrfache Nachfrage von RT-Korrespondent Florian Warweg wollte sich Seibert nicht vom Vorgehen der bolivianischen Armee distanzieren. Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, verkündete sogar: »Das Militär hatte die richtige Entscheidung getroffen, sich auf die Seite der Demonstrierenden zu stellen.« Dagegen warnte Spaniens Außenminister Josep Borrell, die »Intervention« von Militär und Polizei führe »zurück in vergangene Zeiten der Geschichte Lateinamerikas«.

Die gewaltsamen Proteste in Bolivien hatten unmittelbar nach den Wahlen vom 20. Oktober begonnen und eskalierten, als sich abzeichnete, dass Evo Morales die erste Runde mit mehr als zehn Punkten Vorsprung gegenüber dem konservativen Zweitplazierten Carlos Mesa gewonnen haben könnte – das hätte eine Stichwahl vermieden. Mesa sprach von Betrug, es kam zu Ausschreitungen und Plünderungen. Morales warnte daraufhin am 23. Oktober, dass die Rechte mit internationaler Unterstützung einen Staatsstreich in Gang gesetzt habe.

Die Ausschreitungen, Übergriffe und Straßenblockaden weiteten sich aus. In Vinto, einer Stadt im Departamento Cochabamba, wurde Bürgermeisterin Patricia Arce am 6. November von militanten Regierungsgegnern überschüttet mit roter Farbe durch die Straßen geschleift, geschlagen und gedemütigt.

Am vergangenen Freitag rebellierten dann Polizeieinheiten in Cochabamba, Sucre und Santa Cruz. Der Aufstand griff auf weitere Städte über, während das Militär ankündigte, nicht einzuschreiten. Die in La Paz mit dem Schutz des Präsidentenpalastes und anderer Regierungseinrichtungen beauftragten Beamten zogen sich in ihre Kasernen zurück und überließen den Militanten das Feld. Die griffen am Sonnabend das staatliche Fernsehen Bolivia TV und andere Medien an. Der Direktor des von der Landarbeitergewerkschaft CSUTCB betriebenen Senders Radio Comunidad, José Aramayo, wurde aus seinem Büro im Gewerkschaftshaus geschleppt, an einen Baum gefesselt und misshandelt.

Am frühen Sonntag morgen kündigte Morales bei einer Pressekonferenz Neuwahlen an. Die Opposition verlangte jedoch den sofortigen Rücktritt des regulär bis zum 22. Januar amtierenden Staatschefs. Dem schlossen sich die Polizei- und Militärführung an. Um ein Blutvergießen zu verhindern, erklärte Morales daraufhin seinen Rücktritt. Die Europäische Union und die Organisation Amerikanischer Staaten forderte er auf, bei der Wahrheit zu bleiben: »Mein Vergehen ist es, links, Indígena und Antiimperialist zu sein!« Sein Schritt sei kein Verrat an der hinter ihm stehenden Volksbewegung. »Der Kampf geht weiter! Wir sind das Volk!«

Erschienen am 12. November 2019 in der Tageszeitung junge Welt