Solidarität ist Terrorismus

Für zwei Monate ins Gefängnis soll der Vorsitzende der dänischen Horserød Stutthof Foreningen, Anton Nielsen. Die Organisation vereint ehemalige Häftlinge des Nazi-Konzentrationslagers Stutthoff und ihre Angehörigen und unterstützt seit Jahrzehnten die historische Erinnerungsarbeit sowie die Verbreitung des politischen Vermächtnisses der Überlebenden. Der 72jährige wurde in der vergangenen Woche von einem Gericht in Kopenhagen wegen »Unterstützung des Terrorismus« verurteilt, nachdem seine Vereinigung eine Spendenkampagne durchgeführt hatte, um humanitäre Arbeit der marxistischen Palästinenserorganisation PFLP im Gazastreifen und ein Kulturprojekt der kolumbianischen FARC-Guerilla zu unterstützen. Wegen des gleichen Vorwurfs soll auch ein Funktionär der dem Gewerkschaftsbund 3F angeschlossenen Holz- und Bauerarbeitergewerkschaft TIB, Viggo Toften-Jørgensen, sogar für sechs Monate ins Gefängnis gehen.

»Eine solche Arbeit als ›Unterstützung des Terrorismus‹ zu denunzieren, ist eine politische Ungeheuerlichkeit, die wir nicht hinnehmen können«, zeigte sich der Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR), Ulrich Schneider, empört über das Urteil des dänischen Gerichts. »Wir erwarten von einem Land wie Dänemark keine ›Terroristenhysterie‹, sondern Respekt vor den gemeinsamen Erfahrungen des Kampfes gegen Nazismus und Okkupation, gegen Rassismus und Antisemitismus und für eine demokratische und friedlichen Entwicklung«.

Auch Nielsen selbst wies die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück. Jahrzehntelang habe er zunächst als Führungsmitglied der dänischen Kommunistischen Partei und später als Vorsitzender der Horserød Stutthof Foreningen politisch gearbeitet. »Alles im Rahmen des Gesetzes, dachte ich. Und dann plötzlich finden ich und meine Organisation uns als Angeklagte wieder, weil wir den Terrorismus verteidigt hätten.« Das sei absurd und vermutlich vor allem ein Versuch, einen politischen Gegner zum Schweigen zu bringen, unterstrich Nielsen vor Gericht. Dänemark habe sich weit von demokratischen Verhältnissen entfernt, wenn jetzt die Justiz darüber entscheiden könne, was man politisch denken und mit wem man sich solidarisch zeigen dürfe. »Die heutigen Faschisten zeigen sich selten mit ›Heil Hitler‹-Rufen in langen Stiefeln und Uniformen. Heute führen sie ›humanitäre Interventionen‹ durch, wie im ehemaligen Jugoslawien, in Afghanistan, dem Irak und nun schließlich in Libyen«, erklärte Nielsen in seiner Verteidigungsrede, die von der dänischen Tageszeitung Arbejderen im Wortlaut veröffentlicht wurde. Er forderte, das dänische Antiterrorgesetz müsse auf die dänische Regierung angewandt werden, die das Land in den Krieg in Afghanistan geführt habe, der die ultimative Form des Terrorismus sei und bereits 40 jungen Landsleuten das Leben gekostet habe.

Die Intervention des alten Antifaschisten blieb auch auf die drei Richter nicht ohne Eindruck. Einer von ihnen plädierte vergeblich auf Freispruch, weil es der Staatsanwaltschaft nicht gelungen sei nachzuweisen, daß die PFLP und die FARC tatsächlich terroristische Organisationen seien. Auch der vorsitzende Richter zeigte sich zerknirscht. Es gäbe manchmal einen »Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit«, sagte er bei der Urteilsverkündung am Freitag. Er müsse sich aber an die geltenden Gesetze halten. Wenn man diese ändern wolle, müsse man sich an die Christiansborg wenden, den Sitz des dänischen Parlaments. Nielsen und Toften-Jørgensen wollen nun in Berufung gegen das Urteil gehen.

Erschienen am 21. Juni 2011 in der Tageszeitung junge Welt