Sieg im Klassenkrieg

Als »kluge Entscheidung des amerikanischen Volks« hat Linken-Fraktionschef Gregor Gysi am Mittwoch den Ausgang der Präsidentschaftswahl in den USA gelobt. Der Sieg Barack Obamas sei »eine Chance, der tiefen Spaltung der amerikanischen Gesellschaft durch eine Politik der Gerechtigkeit die Schärfe zu nehmen«. Einen solchen Optimismus teilte das venezolanische Internetportal aporrea.org nicht. »Die gute Nachricht ist, daß Mitt Romney verloren hat. Die schlechte ist, daß Barack Obama gewonnen hat«, kommentierte die Seite, die zu den wichtigsten lateinamerikanischen Nachrichtenportalen gehört.

Als »überraschend deutlich« wertete die Nachrichtenagentur dapd das Ergebnis von 50 zu 48 Prozent für den Amtsinhaber. Nach Auszählung von 97 Prozent der Stimmen hatte Obama dem Fernsehsender NBC zufolge bei mehr als 116 Millionen abgegebenen Stimmen einen Vorsprung von 2,5 Millionen auf seinen republikanischen Herausforderer Mitt Romney. Die US-Bürger wählen ihren Staatschef jedoch nicht direkt, sondern lediglich, welche Vertreter ihr Regionen in das Wahlmännerkollegium schickt. Dabei gilt in den meisten Bundesstaaten das Prinzip »The winner takes all«: Wer die relative Mehrheit der Stimmen erreicht, entsendet alle Wahlmänner des Bundesstaates. So konnte Obama den vorläufigen Ergebnissen zufolge mindestens 303 Stimmen für das »Electoral College« gewinnen, Romney lediglich 206. Das Ergebnis in Florida lag bei jW-Redaktionsschluß noch nicht vor. Da die Mehrheit im Gremium jedoch bei 270 liegt, war Obama der Sieg dort nicht mehr zu nehmen.

Damit kann er nun den Kommunismus in den USA einführen. Das befürchtet jedenfalls der Kommentator der Tageszeitung The Portsmouth Herald, Bill Case. Wenige Tage vor der Abstimmung warnte er seine Leser auf dem Onlineportal des Blattes: »Die reale Frage der bevorstehenden Präsidentschaftswahl ist, ob wir ein kapitalistisches oder ein marxistisches/sozialistisches Land sein werden. Es hat nie zuvor einen Präsidenten gegeben, der dem Kommunismus/Sozialismus näher gestanden hätte als unser gegenwärtiger Präsident.« Case stützt sich dabei vor allem darauf, daß die KP der USA bei dieser Wahl erneut zur Unterstützung Obamas aufgerufen hatte, um eine Rückkehr der extremen Rechten in das höchste Staatsamt zu verhindern.

Solche Warnungen wie von Case, die bereits vor vier Jahren Hochkonjunktur gehabt hatten, verpufften jedoch, wie E. J. Dionne am Mittwoch in der Washington Post feststellte: »Angriffe auf die ›Klassenkampf‹-Politik (Obamas) blieben wirkungslos, denn eine Mehrheit denkt, daß tatsächlich Klassenkrieg herrscht, und daß die Reichen ihn derzeit gewinnen.« In Meinungsumfragen hatten zuvor 54 Prozent der Wähler erklärt, daß Romneys Politik die Reichen bevorzuge, nur zwei Prozent sahen die Armen als Profiteure von dessen Linie. Daß sich Obama vor allem für die Reichen einsetzt, glaubten dagegen nur zehn Prozent, während ihn immerhin 31 Prozent für einen Unterstützer der Armen hielten.

Arbeiterfamilien im ganzen Land hätten in der Nacht die Wiederwahl Oba­mas gefeiert, begrüßte auch der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes AFL-CIO, Richard Trumka, den Ausgang der Abstimmung. Dadurch werde »das Land weiter auf dem Weg der Vernunft und der Teilung des Wohlstands vorangehen«. In den vergangenen Jahren seien Obama und sein Vizepräsident Joseph Biden »standhafte Verbündete der arbeitenden Männer und Frauen« gewesen, so der Gewerkschafter.

Auf den unter Obama verschärften Drohnenkrieg im Nahen und Mittleren Osten, die Blockade gegen Kuba oder das US-Gefangenenlager Guantánamo, dessen Schließung der Präsident vor vier Jahren versprochen hatte, ging Trumka nicht ein. Ein »Ende der US-Interventionen überall auf der Welt« war jedoch das Thema der »Partei für Frieden und Freiheit«, als deren Präsidentschaftskandidatin die Schauspielerin Roseanne Barr antrat. In den 90er Jahren war sie als Star der Fernsehserie »Roseanne« bekanntgeworden und forderte nun freie Bildung und Gesundheitsversorgung für alle sowie Vollbeschäftigung bei würdigen Arbeitsbedingungen. »Der eigentliche Grund, warum wir für diese Dinge noch immer kämpfen müssen ist, daß sehr wenige sehr reiche Leute die Welt besitzen und die Arbeitsbedingungen bestimmen.« Dieser Kapitalismus müsse durch eine »Demokratie der Arbeiterklasse«, den Sozialismus, ersetzt werden. Als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft hatte Barr die Friedensaktivistin Cindy Sheehan nominiert. Die Mutter eines im Irak-Krieg getöteten Soldaten war 2005 international bekanntgeworden, als sie wochenlang vor der Ranch des damaligen US-Präsidenten George W. Bush campierte, um ihn zu einem direkten Gespräch zu zwingen und gegen den Krieg zu protestieren. Das Gespann kandidierte nur in Kalifornien, Colorado und Florida, konnte dort jedoch Zehntausende Stimmen gewinnen. Allein in Kalifornien unterstützten mehr als 57000 Wähler die Friedenspartei.

Erschienen am 8. November 2012 in der Tageszeitung junge Welt