Sieg des Volkes in Venezuela – Millionen Menschen besiegen die Putschisten

„Sieg der Bolivarianischen Revolution!“ titelte die kubanische Tageszeitung „Granma“ am 15. April. Und die Kommunistische Jugend Venezuelas schickte eine Erklärung in alle Welt: „Patriotischer und bolivarianischer Sieg des Volkes in Venezuela!“

Die Rückkehr des mehrfach demokratisch gewählten Präsidenten der Bolivarianischen Republik Venezuela, Hugo Chávez, nach 48 Stunden in der Gewalt putschender Militärs wird nicht nur in Cuba mit dem Sieg in der Schweinebucht 1961 verglichen. Der Sieg des Volkes von Venezuela war ein herber Schlag für die USA und die anderen Regierungen, die nicht schnell genug den Putsch der reaktionären Militärs bejubeln konnten.

Auslöser der Auseinandersetzungen war der Konflikt um den staatlichen Erdölkonzern Petróleos de Venezuela (PdVSA). Seit Jahren war dieser Konzern wie ein „Staat im Staate“ geführt worden, korrupte Manager und einige privilegierte Angestellter machten sich wie die Made im Speck breit. Das wollte sich die Regierung Venezuelas nicht länger tatenlos ansehen. Einen engen Verbündeten hatte sie dabei mit den venezolanischen KommunistInnen: „Als PCV“, so die Partei in einer Erklärung, „unterstützen wir gemeinsam mit dem venezolanischen Volk die Aktivitäten der bolivarianischen Regierung zur Verteidigung unserer Erdölindustrie durch den Abbau der Privilegien einer bürokratischen Kaste des Managements, die PdVSA in einen Staat im Staate verwandelt hat. PdVSA gehört allen Venezolanern, nicht der Oligarchie!“

Die Konzernspitze reagierte mit einer Drosselung der Erdölförderung und bedrohte damit direkt die Handlungsfähigkeit der Regierung, denn rund 80 Prozent aller Exporteinnahmen Venezuelas stammen aus dem Erdöl, Venezuela ist der größte Erdölexporteur außerhalb der Golfregion. Angesichts der Entschlossenheit der Regierung, dem Widerstand der PdVSA-Spitze nicht nachzugeben, entschlossen sich der Unternehmerverband Fedecámaras und die rechte Führung des größten venezolanischen Gewerkschaftsverbandes CTV zu einer weiteren Eskalation der Auseinandersetzung. Für den 9. April riefen sie einen landesweiten Generalstreik aus. Nicht das erste Mal, bereits im vergangenen Dezember hatten sie zu diesem Mittel gegriffen, um gegen fortschrittliche Gesetzesvorhaben der Regierung zu protestieren. Und auch in den folgenden Monaten hatten Fedecámaras, CTV und die von den Konzernen kontrollierten Privatmedien, wozu fast alle Fernsehsender und Zeitungen gehören, ununterbrochen versucht, die Regierung zu schwächen.

Doch der Generalstreik am 9. April wurde zu einer Niederlage der Rechten. Die Kommunistische Partei feierte den Sieg des Volkes: „Genossen aus Venezuela und der ganzen Welt! Wir haben die große Freude, euch mitteilen zu können, daß der Putschversuch der faschistischen Rechten eine umfassende Niederlage durch die überwältigende Mehrheit unseres Volkes, das sein Recht verteidigt, frei und souverän zu sein, erlitten hat!“ Sogar die rechte Presse mußte einräumen, daß der Generalstreik lediglich in den reichen Vierteln von Caracas eine größere Beteiligung hatte, während in den anderen Teilen des Landes das Leben weitgehend normal verlief.

Unternehmer und CTV-Spitze aber wollten die Niederlage nicht eingestehen. Sie verlängerten den Streik um noch einmal um 24 Stunden und riefen kurz darauf sogar den „unbefristeten Generalstreik“ aus. Doch die ohnehin schon niedrige Beteiligung bröckelte weiter ab. Das venezolanische Wirtschaftsministerium schätzte, daß sich etwa 70 Prozent der Unternehmen nicht am Streik beteiligten. Schon vor Streikbeginn hatten sich Umfragen zufolge mehr als 80 Prozent der Menschen Venezuelas gegen den Streik ausgesprochen.

In dieser Situation suchten die Regierungsgegner ihr Glück in der Gewalt. Bereits am 10. April war es zu Überfällen und Brandanschlägen gekommen. Doch am 11. April sollte die Situation eskalieren. Für den Morgen dieses Tages hatten CTV und Fedecámaras zu einer Demonstration der Streikenden aufgerufen. Angekündigtes Ziel der Demonstration war der Sitz des Erdölkonzerns PdVSA. Doch während die Demonstration mit etwa 50.000 Menschen bereits unterwegs war, wurde sie von den Organisatoren in Richtung auf den Präsidentenpalast umgelenkt: „Jetzt holen wir Chávez aus Miraflores raus!“

Doch vor dem Präsidentenpalast hatten sich rund 30.000 Mitglieder der revolutionären Basiskomitees, der „Círculos Bolivarianos“, und Mitglieder der linken Parteien versammelt, um die Regierung gegen den von ihnen bereits zu diesem Zeitpunkt als „Putschversuch“ eingeschätzten Streik zu verteidigen. Beide Menschenmengen wurden von zwei verschiedenen Sicherheitskräften getrennt. Auf der einen Seite stand die direkt dem Präsidenten unterstellte Guardia Nacional, auf der anderen die dem in Opposition zur Regierung stehenden Bürgermeister von Caracas gehorchende Policia Metropolitana. Als sich die beiden Menschenmengen gegenüberstanden, fielen plötzlich Schüsse. 13 Menschen wurden getötet, über 100 verletzt.

Die von der Opposition kontrollierten Medien schrien sofort auf, die Regierung und ihre Anhänger habe auf die „unbewaffnete Demonstration“ der Opposition geschossen, Chávez sei ein Mörder. Der Präsident wandte sich in diesem Moment an die Nation, doch die privaten Kanäle schalteten die Rede ab, womit sie offen gegen geltende Gesetze verstießen. Nur der staatliche Kanal VTV sendete weiter die Worte von Chávez. In diesem Augenblick besetzten Militärs die Gebäude von VTV und zwangen die Angestellten, ein zuvor in den Studios des US-Nachrichtensenders CNN aufgenommenes Video zu senden, in denen sie den Rücktritt von Chávez verlangten und dem Präsidenten, dem obersten Befehlshaber der Streitkräfte, den Gehorsam verweigerten.

Was war wirklich auf der Straße geschehen? Schon unmittelbar nach den blutigen Ereignissen hatten sich Augenzeugen gemeldet, die den Behauptungen der Rechten widersprachen. Sie berichteten, in der oppositionellen Demonstration hätten sich bewaffnete Zivilisten befunden, die auf die Chávez-Anhänger geschossen hätten. Außerdem war aus umliegenden Gebäuden geschossen worden, unter den Heckenschützen wurden Mitglieder der ultralinken Oppositionspartei „Bandera Roja“ identifiziert, die schon seit Jahren gemeinsam mit den Rechten gegen die Bolivarianische Regierung hetzt. Mittlerweile hat sich herausgestellt, daß mehr als 90 Prozent der an diesem Tag ums Leben gekommenen Menschen Anhänger der gewählten Regierung waren.

Doch die Opposition hatte ihren Vorwand. Revoltierende Offiziere besetzten den Regierungspalast und forderten von Präsident Chávez den Rücktritt. Der jedoch antwortete ihnen: „Ich werde nicht zurücktreten. Machen Sie ihren Putsch und tragen Sie selbst die Verantwortung dafür.“

Die Offiziere erklärten Chávez für verhaftet und verschleppten ihn in den zentralen Militärstützpunkt Fuerte Tiunas in Caracas. Vor der Öffentlichkeit erklärte der Oberst Julio Cesar Anzola, Chávez habe seinen Rücktritt erklärt und befinde sich nun in Gewahrsam der Streitkräfte. Zum Übergangspräsidenten ernannten die Putschisten der Chef des Unternehmerverbandes Fedecámaras, Pedro Carmona.

Sofort begann die Verfolgung der AnhängerInnen der gewählten Regierung. Mehrere Minister wurden verhaftet, Häuser von Mitgliedern linker Parteien durchsucht, als Linke bekannte Menschen mißhandelt. Doch trotz der Abschaltung des staatlichen Fernsehsenders und mehrerer alternativer Rundfunkstationen durch die Putschisten gelangte die Wahrheit an die Öffentlichkeit. Der Tochter des Präsidenten, María Gabriela Chávez, gelang es, telefonisch Kontakt mit dem kubanischen Fernsehen aufzunehmen, das mit Sondersendungen über die Lage in Venezuela informierte. Sie erklärte, sie habe mit ihrem Vater telefonieren können. Dieser habe ihr mitgeteilt, er sei nicht zurückgetreten, sonder ein „gefangener Präsident“. Er bat seine Angehörigen, die Öffentlichkeit über die wahren Ereignisse zu informieren und ihn zu verteidigen.

Die Darstellungen des vom Militär anschließend in Isolation gehaltenen rechtmäßigen Präsidenten wurde auch von Ministern und anderen hohen Funktionären der Regierung bestätigt. Außerdem wies der Generalstaatsanwalt darauf hin, daß entsprechend der Verfassung bei einem Rücktritt des Präsidenten der Vizepräsident Diosdado Cabello die Amtsgeschäfte zu übernehmen habe, und sollte dieser eine Amtsübernahme ablehnen oder vorher, wie von den Putschisten behauptet, entlassen worden sein, dann habe der Parlamentspräsident die Regierungsgeschäfte zu führen. Doch die Putschisten verkündeten offen, sie würden die Ende 1999 in einer Volksabstimmung beschlossene Bolivarianische Verfassung nicht anerkennen. Mit einem einfachen Dekret benannte „Übergangspräsident“ Carmona das Land um und strich das „Bolivarianisch“ aus dem Namen Bolivarianische Republik Venezuela. Das Parlament wurde für aufgelöst erklärt, die obersten Richter und die Staatsanwälte entlassen. Als der Gouverneur des Staates Táchira, Rolando Blanco La Cruz, die Anerkennung Carmonas als Präsident verweigerte und sagte, er habe keinen Rücktritt von Chávez gesehen, deshalb sei dieser noch immer Präsident, wurde auch er von den Putschisten verhaftet.

Die USA stellten sich bereits zu diesem Zeitpunkt hinter die Putschisten. Der US-Botschafter in Caracas feierte den Staatsstreich als einen „großartigen Tag in der Geschichte Venezuelas“. Die US-Regierung erklärte, Chávez allein sei für die entstandene Situation verantwortlich, die Putschisten hätten gar keine andere Wahl gehabt, als die Macht zu übernehmen. Auch die spanische Regierung in ihrer Eigenschaft als EU-Präsidentschaft vermied in einer offiziellen Stellungnahme eine Verurteilung des Putsches. Das Land, das international sofort und am entschiedensten eine Isolation der Putschisten und eine Verurteilung des Umsturzes forderte, war Kuba. Fidel Castro und andere Repräsentanten der Insel erklärten, Kuba werde die an die Macht geputschte „de facto Regierung“ niemals anerkennen, rechtmäßiger Präsident bleibe Hugo Chávez.

Doch die Ereignisse entwickelten sich weiter. Schon am 12. April war es in den armen Vierteln von Caracas zu Protesten gegen den Putsch gekommen. Am 13. April brannten Barrikaden, wurden Straßen und große Kreuzungen blockiert. Tausende Bauern, die in den Genuß der Bodenreform gekommen waren, deren Annullierung die Putschisten gerade angekündigt hatten, machten sich auf den Weg nach Caracas. Vor der Kaserne Fuerte Tiuna, in der Präsident Chávez gefangengehalten wurde, versammelten sich zuerst einige, dann immer mehr Menschen, bald waren es Tausende. Chávez wurde schnell aus der Kaserne in eine Luftwaffenbasis auf einer Insel vor der Küste Venezuelas gebracht. Tausende von Menschen versammelten sich vor den Einrichtungen der privaten Fernsehsender und der rechten Zeitungen. Und Zehntausende demonstrierten auf den Präsidentenpalast zu. Die den Putschisten ergebenen Polizei- und Armeeeinheiten eröffneten das Feuer auf die DemonstrantInnen. Schätzungen zufolge wurden mindestens 40 Menschen von den Putschisten umgebracht. Doch die Menschen ließen sich nicht abdrängen.

Plötzlich tauchte eine handschriftliche Erklärung Chávez‘ auf: „Turiamo, 13. April 2002. An das venezolanische Volk und alle, die es interessieren könnte. Ich, Hugo Chávez Frías, Präsident der Bolivarianischen Republik Venezuela, erkläre: Ich bin von der mir vom Volk gegebenen Macht nicht zurückgetreten.“ Diese Botschaft des gefangenen Präsidenten hatte ein Soldat aus der Kaserne geschmuggelt und per Fax nach Caracas geschickt, wo es sofort viele Tausend Male kopiert und verteilt wurde. Der Soldat hatte Chávez in einem Augenblick, in dem niemand das Gespräch belauschen konnte, gefragt, ob dieser wirklich zurückgetreten sei. Als Chávez dies verneinte, nahm der Soldat Haltung an und stellte sich dem legitimen Oberbefehlshaber zur Verfügung. Kurz vor seinem Abtransport versteckte Chávez den handgeschrieben Zettel in einem Papierkorb. Aus diesem holte der Soldat ihn später heraus und verbreitete ihn. Die Fassade des Putsches war zusammengebrochen.

In dieser Situation begann das in Maracay stationierte Fallschirmjägerbataillon unter General Baudel gegen die Putschisten zu rebellieren. Die Soldaten marschierten ebenfalls auf den Präsidentenpalast zu. Gemeinsam mit den Volksmassen, deren Zahl längst auf Hunderttausende angewachsen war, übernahmen sie immer mehr die Kontrolle über die Hauptstadt. Während das staatliche Fernsehen wieder in Betrieb genommen wurde und sofort begann, den Volksaufstand gegen die Putschisten direkt zu übertragen, wurde das Redaktionsgebäude des rechten Hetzblattes „El Universal“ evakuiert, nachdem sich Tausende vor den Redaktionsräumen versammelt hatten. Auch die Angestellten des privaten Fernsehsenders RCTV mußten zittern. Kurz darauf wurden die privaten Fernsehsender abgeschaltet oder mußten die Bilder des Staatskanals mit den Berichten über den Sieg des Volkes übernehmen.

Unter dem Schutz der Menschenmassen und der verfassungstreuen Soldaten kehrten die Minister der Regierung Chávez und der Vizepräsident Diosdado Cabello in den Präsidentenpalast Miraflores zurück und nahmen die Arbeit wieder auf. Cabello wurde als Präsident vereidigt und übernahm die Amtsgeschäfte bis zu Rückkehr von Chávez. Etwa zur gleichen Zeit gab Putschisten-Präsident Carmona auf und wurde verhaftet. Angehörige des Fallschirmjägerbataillions befreiten Chávez aus der Gefangenschaft und brachten ihn zurück nach Caracas.

Im Triumphzug kehrte Chávez am 14. April, kurz vor 3 Uhr morgens Ortszeit, in den Präsidentenpalast zurück. Mit geballter Faust grüßte er die Massen und wandte sich kurz darauf über alle Fernsehsender an die Nation. Dort rief er zur Ruhe und Versöhung auf und kündigte eine weitere Vertiefung der Bolivarianischen Revolution an. Es werde keine Hexenjagd geben, aber die Putschisten müßten sich für ihre Taten verantworten.

Mehr als eine Million Menschen feierten in den Straßen von Caracas den Sieg über die Putschisten. Und mit ihnen Millionen von KubanerInnen, die im Fernsehen die Ereignisse verfolgt hatten. Und weitere Millionen in allen Ländern Lateinamerikas. Das Zentralorgan der kubanischen KommunistInnen, „Granma“, kommentierte: „Die Venezolaner haben eine neue Etappe in der Geschichte Lateinamerika begonnen, in der das Volk sein Eigentum verteidigt und die Staatsstreiche besiegt. Diese Lektion kann auch anderen dienen. Es ist eine neue Demokratie, die das Volk durchsetzt und verteidigt.“

¡Viva la revolución Bolivariana!

Erschienen in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit vom 16. April 2002