Sicherer Hafen für Assange

Ecuadors Außenministerium hat Wikileaks-Gründer Julian Assange eingeladen, in dem südamerikanischen Land in Vorträgen aus erster Hand über die Erkenntnisse des Internetdienstes zu berichten. »Wenn Herr Assange eine Aufenthaltsberechtigung für Ecuador beantragen möchte, kann er dieses Gesuch entsprechend der geltenden Normen des Landes einreichen«, bietet das Ministerium von Ricardo Patiño dem Australier außerdem in einer offiziellen Pressemitteilung kaum verklausuliert Asyl an, nachdem dessen Heimatland der US-Regierung Unterstützung bei der Verfolgung des Enthüllungsportals und seines Mitbegründers zugesichert hatte. Wikileaks feierte die Einladung bereits in einer über den Internetdienst Twitter verbreiteten Nachricht als »sicheren Hafen«. Ecuador verspricht sich von diesem Schritt offenbar Zugriff auf die 1450 Dokumente der US-Botschaft in Quito, über die Wikileaks eigenen Angaben zufolge verfügt, die jedoch bislang nicht veröffentlicht wurden. Die anderen Mitgliedsstaaten der Bolivarischen Allianz ALBA dürften ebenfalls an den Papieren interessiert sein. So liegen dem Portal dem Vernehmen nach aus der nordamerikanischen Vertretung in Caracas 2340 Berichte vor, darunter 46 »geheime« und fast 2000 »vertrauliche« Depeschen. Rund 3000 Berichte lieferte die US-Botschaft in La Paz, etwa 500 die US-Interessenvertretung in Havanna.

Aber auch in anderen Ländern Lateinamerikas sind die Enthüllungen von Wikileaks auf Empörung gestoßen. So bestellte Paraguays Regierung den US-Botschafter ein, um Erklärungen für das offensichtliche Ausspionieren von Präsident Fernando Lugo zu verlangen. Den veröffentlichten Berichten zufolge hatte das State Department von seinen Diplomaten in Asunción unter anderem verlangt, biometrische Daten, Fingerabdrücke, Genmaterial und Scans der Iris von Lugo und dessen damaligen Konkurrenten im Präsidentschaftswahlkampf 2008 zu übermitteln. »Wenn sich das bestätigt, wäre es ziemlich gravierend«, erklärte Paraguays Außenminister Héctor Lacognata am Dienstag gegenüber Pressevertretern. Man wolle der US-Administration Gelegenheit geben, sich zu den Vorgängen zu äußern, bevor man selbst eine offizielle Erklärung abgebe, so der Minister.

Die argentinische Regierung reagierte hingegen zunächst offiziell nicht auf die Enthüllung, daß Washington von seinen Diplomaten in Buenos Aires Berichte über den »Geisteszustand« von Präsidentin Cristina Fernández angefordert hatte. Statt dessen dokumentierte die staatliche Presseagentur Telam ausführlich Erklärungen des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, der sich mit Fernández solidarisiert und US-Außenministerin Hillary Clinton zum Rücktritt aufgefordert hatte. »Das Imperium ist nackt«, freute sich der Staatschef, dessen »Isolierung« das State Department von seinen Diplomaten in Südamerika verlangt hatte. Die USA seien ein »illegaler, gescheiterter Staat«, der sogar den Respekt gegenüber seinen Verbündeten über Bord geworfen habe, um seine Herrschaft zu bewahren, so Chávez.

Erschienen am 1. Dezember 2010 in der Tageszeitung junge Welt