Sechs-Stunden-Tag, Volksmilizen und Arbeiterräte: Chávez legt Verfassungsreform vor

Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat am 15. August in der Nationalversammlung, dem venezolanischen Parlament, sein Projekt einer Reform der 1999 verabschiedeten Verfassung vorgestellt. Nach dem Vorschlag des Präsidenten sollen 33 Artikel verändert werden und damit weniger als ein Zehntel der 350 Bestimmungen. Chávez rief das Volk auf, seine Vorschläge breit auf der Straße zu diskutieren, denn es sei nicht die Reform „von Chávez“, sondern des Volkes. Nach Behandlung des Projektes durch die Nationalversammlung müssen die Veränderungen in einer Volksabstimmung verabschiedet werden.

 

In einer über alle Radio- und Fernsehsender des Landes übertragenen Ansprache stellte Chávez die Details der Verfassungsreform vor.

So soll das Militär künftig „Bolivarianische Streitkräfte“ (FAB) heißen. Der Rückgriff auf den Namen des Befreiers Venezuelas und weiter Teile Südamerikas von der spanischen Kolonialherrschaft habe politisches, moralisches und soziales Gewicht, so Chávez. Die venezolanischen Streitkräfte müssten zutiefst volkspatriotisch und antiimperialistisch sein, forderte er.

Aus der Nationalen Reserve werden dem Vorschlag zufolge die Bolivarianischen Volksmilizen, die als solche eine weitere Komponente – neben Heer, Marine, Nationalgarde und Luftwaffe – der Streitkräfte werden.

Die Reform der Verfassung 1999 bedeute eine weitere Vertiefung der Demokratie, sagte Chávez. Sie sei unverzichtbar, um den revolutionären Veränderungsprozess in Venezuela in sozialer, politischer, wirtschaftlicher Hinsicht und zur Stärkung der Demokratie zu beschleunigen.

Artikel 136 etabliert in der von Chávez vorgestellten Fassung eine Neuaufteilung der Machtsäulen des venezolanischen Staates in Volksmacht, bezirkliche Macht, staatliche Macht und nationale Macht. Während sich die öffentliche Macht in Legislative, Exekutive, Judikative, Bürgermacht und Wahlmacht aufteilt, drückt sich die Volksmacht durch die Selbstregierung der Gemeinden und Städte durch Kommunale Räte, Arbeiterräte, Bauernräte und Studentenräte sowie weiteren Einrichtungen aus.

Die reformierte Verfassung soll fünf Eigentumsformen anerkennen: öffentlich, gesellschaftlich, kollektiv, gemischt und privat. Dabei ist unter öffentlichem Eigentum der Staatsbesitz gemeint, das gesellschaftliche Eigentum gehört direkt oder indirekt dem gesamten Volk. Kollektiveigentum gehört und dient bestimmten gesellschaftlichen Gruppen oder Personen und kann gesellschaftlich oder privat organisiert sein. Daneben soll es weiterhin juristischen oder natürlichen Personen gehörendes Eigentum sowie Mischformen geben. Die Verfassung legt auch das Eigentum verpflichtende Parameter fest. Dazu gehört auch die Möglichkeit, Eigentum im öffentlichen Interesse zu enteignen.

Die tägliche Arbeitszeit soll dem Vorschlag des Präsidenten zufolge auf sechs Stunden am Tag beschränkt werden. Das gilt sowohl für Tag- wie für Nachtarbeit.

Dem Vizepräsidenten – künftig Erster Vizepräsident – soll eine nicht näher bestimmte Zahl von Vizepräsidenten mit regionaler Verantwortung zur Seite gestellt werden. Er erinnerte daran, dass er solche regionalen Vizepräsidenten bereits vor acht Jahren der Verfassunggebenden Versammlung vorgeschlagen habe, was damals aber nicht berücksichtigt worden sei.

Die sozialen Missionen sollen ebenfalls Verfassungsrang bekommen, allerdings ohne sie dadurch zu bürokratisieren oder sie durch ein Übermaß an gesetzlichen Bestimmungen zu lähmen. Artikel 141 soll künftig die Missionen als eine alternative Form der öffentlichen Verwaltung anerkennen.

Der Großgrundbesitz, der in der geltenden Verfassung nur als „gegen das gesellschaftliche Interesse“ gerichtet definiert wird, soll ausdrücklich verboten werden. Der Kampf gegen den Großgrundbesitz sei die Aufgabe aller, unterstrich Chávez, nicht allein des Nationalen Instituts für Länderein, des Landwirtschaftministers oder des Präsidenten.

Die Amtszeit des Präsidenten soll auf sieben Jahre verlängert werden, eine direkte Wiederwahl soll möglich sein. Chávez erinnerte daran, dass dies die ursprüngliche Formulierung der Verfassunggebenden Versammlung von 1999 gewesen sei, bevor die derzeit gültige Regelung – sechsjährige Amtszeit und einmalige sofortige Wiederwahl – angenommen wurde. Er wies auch Kritiken zurück, er habe das Land mit diesem Vorschlag überrascht und erinnerte daran, dass er bereits am 12. August 2006, als er sich beim Nationalen Wahlrat als Präsidentschaftskandidat für die Wahl am 3. Dezember 2006 eingeschrieben hatte, den Vorschlag einer solchen Verfassungsänderung unterbreitet habe. Chávez wies auch darauf hin, dass eine Wiederwahl natürlich immer von der Unterstützung des Volkes abhängt.

Erschienen in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit vom 24. August 2007