Schweigende des Tages: Marine Le Pen

Marine Le Pen, die Chefin der ultrarechten französischen Front National, soll ihr »ohrenbetäubendes Schweigen« brechen, fordert der französische Parlamentsabgeordnete Pierre Moscovici. Bislang weigert sich die 43jährige, die im Januar an die Spitze der Partei aufgestiegen war, sich von Thesen ihres Vaters und Amtsvorgängers Jean-Marie Le Pen zu distanzieren. Dieser hatte am Freitag das Massaker des norwegischen Rechtsextremisten Anders Behring Breivik in Oslo und auf der Insel Utøya als »Unfall« bezeichnet. »Schlimmer« als das Verbrechen mit 77 Toten sei die »Naivität« der norwegischen Regierung und Gesellschaft.

Offenbar steht Frau Le Pen, die ihrem Verein im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2012 ein »seriö­ses« Image verpassen und ihn aus der braunen Schmuddelecke führen wollte, intern mächtig unter Druck. Schon in der vergangenen Woche hatte ihr Parteifreund Jacques Coutela den Attentäter als »Widerstandskämpfer« und »Ikone« gefeiert, weil er »gegen die muslimische Invasion« kämpfe. Daraufhin mußte Coutela seine Parteiämter zwar vorläufig ruhen lassen und Marine Le Pen wies alle Versuche zurück, ihre Partei mit Breivik in Verbindung zu bringen. Doch nun gegen ihren Vater, den FN-Ehrenpräsidenten, aufzumucken, ist des Guten offenbar zuviel. Und das, obwohl sie am vergangenen Montag noch eine »gnadenlose Bestrafung« des Attentäters gefordert hatte.

So werden Europas Rechte die Gespenster nicht mehr los, die sie selbst gerufen haben, und die sich – wie Breivik in seinem 1500-Seiten-Machwerk – zustimmend auf sie berufen. »Alle ernstzunehmenden Oppositionellen Europas (…) bis hin zur FPÖ und der Front National in Frankreich« stünden unter »Generalverdacht«, beschwert sich etwa »Pro Deutschland«, will sich aber in Berlin nicht davon abhalten lassen, weiter »für Thilos Thesen« Wahlkampf zu machen.

Erschienen am 1. August 2011 in der Tageszeitung junge Welt