Schweigen in Caracas

In Venezuela ist der im Oktober unter internationaler Vermittlung aufgenommene Dialog zwischen der Regierung und dem Oppositionsbündnis MUD (Tisch der demokratischen Einheit) erst einmal gescheitert. Der Exekutivsekretär der Rechtsallianz, Jesús Torrealba, kündigte am Mittwoch (Ortszeit) die Wiederaufnahme der Straßenproteste an. Am Tag zuvor hatte die MUD verkündet, man werde künftig nur noch mit den internationalen Vermittlern sprechen, nicht aber mit den Abgesandten von Präsident Nicolás Maduro. Diese wiederum bekräftigten ihre Bereitschaft, den Dialog fortzusetzen. Zugleich rief Maduro für den 17. Dezember zu einer Großdemonstration im Zentrum von Caracas auf, mit der ein machtvolles Zeichen gegen die »Putschisten« gesetzt werden soll.

Regierung und Opposition warfen sich gegenseitig vor, getroffene Vereinbarungen missachtet zu haben. Hintergrund ist der Streit um drei oppositionelle Parlamentsabgeordnete aus dem Bundesstaat Amazonas, deren Wahl der Oberste Gerichtshof (TSJ) nach Beschwerden annulliert hatte. Im Raum stehen Vorwürfe des Stimmenkaufs. Von Julio Ygarza, Nirma Guarulla und Romel Guzamana hing jedoch ab, ob die Regierungsgegner in der Legislative über eine Zweitdrittelmehrheit verfügen. Deshalb vereidigte das von der Rechten kontrollierte Parlamentspräsidium die Abgeordneten am 28. Juli trotz des Vetos der obersten Richter. Diese reagierten darauf mit der Entscheidung, von diesem Datum an alle Beschlüsse der Nationalversammlung für ungültig zu erklären.

Im November einigten sich die Vertreter von Regierung und Opposition dann darauf, die drei Abgeordneten von den Sitzungen auszuschließen und die Parlamentswahl in Amazonas zu wiederholen. Im Gegenzug sollten künftige Entscheidungen der Legislative anerkannt werden. Das Präsidium der Nationalversammlung hat nach eigenen Angaben am 24. November den TSJ in einem Schreiben über die Suspendierung von Ygarza, Guarulla und Guzamana informiert. Das allerdings bezweifelt der Vizechef der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV), Diosdado Cabello. Es reiche nicht, einfach einen Brief zu schreiben, dessen Inhalt er zudem nicht kenne. Die Vereidigung der Politiker müsse vor dem Plenum des Parlaments annulliert werden. Von seiten des Obersten Gerichtshofs gab es bislang keine Stellungnahme.

Die Auseinandersetzungen um die Rolle des Parlaments sind für die Opposition jedoch in erster Linie ein mehr oder weniger willkommener Vorwand für ihren Rückzug aus den Gesprächen. Die MUD geriet zunehmend in Gefahr, zwischen Befürwortern und Gegnern des Dialogs zerrieben zu werden. Das räumte MUD-Chef Torrealba indirekt auch ein, als er am Dienstag von einer angestrebten »Optimierung« der Allianz sprach. Man befinde sich derzeit in »tiefgreifenden Konsultationen und einer internen Debatte«.

Die MUD besteht aus rund 30 Parteien, deren einziger gemeinsamer Nenner die Gegnerschaft gegenüber Maduro ist. Eine Reihe der beteiligten Organisationen hatte sich von Anfang an gegen den Dialog gestellt und gefordert, die Machtprobe mit der Regierung auf der Straße zu suchen. Die Großdemonstrationen der Opposition im September waren allerdings wirkungslos verpufft und hatten unter den eigenen Anhängern für Unmut gesorgt, weil diese sich von ihren Führern – die mehrfach von einer »Entscheidung« gesprochen hatten – belogen fühlten.

Torrealba konnte seinen Laden zunächst mit dem Versprechen schneller Erfolge zusammenhalten. So wurde die Freilassung von sechs »politischen Gefangenen« aus humanitären Gründen zu Beginn der Verhandlungen als erster Erfolg seiner Linie interpretiert. Die Regierung zeigte sich in den folgenden Gesprächen jedoch nicht bereit zu vorgezogenen Wahlen oder anderen Varianten, die einen Machtwechsel vor den regulären Präsidentschaftswahlen Ende 2018 ermöglichen würden. Das von der Opposition monatelang verfochtene Amtsenthebungsreferendum gegen Maduro hat seinen Zauber verloren, denn im Januar beginnen die letzten zwei Jahre seiner Amtszeit. Venezuelas Verfassung legt fest, dass es bei einer Abwahl des Staatschefs in diesem Zeitraum nicht zu Neuwahlen kommt, sondern der Vizepräsident die Amtsgeschäfte übernimmt.

Erschienen am 12. Dezember 2016 in der Tageszeitung junge Welt