Schock in Caracas

Ohne größere Zwischenfälle, aber doch mit erheblicher Verzögerung gingen am Sonntag in Venezuela die Wahlen der Gouverneure in den Bundesstaaten und der Bürgermeister in den Bezirken zu Ende. Als dann die ersten verläßlichen Ergebnisse mit mehr als siebenstündiger Verspätung vorlagen, überwog unter den Anhängern von Präsident Hugo Chávez Enttäuschung: Zwar bleibt mit mindestens 17 Gouverneursposten der Großteil der insgesamt 23 am Sonntag vergebenen Führungspositionen auf regionaler Ebene in der Hand der bolivarischen Revolution. Mit Aragua, Guárico, Trujillo und Sucre konnten sogar Bundesstaaten zurückerobert werden. Allerdings verloren die Chavisten zugleich mindestens drei strategisch wichtige Regionen.

Niederlagen und Siege

Insgesamt blieb die von Chávez geführte Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) mit Abstand führende Kraft. Sie erreichte etwa 5,6 Millionen Stimmen, was bedeutet, daß diesmal etwa eine Million Menschen mehr für die Regierung stimmten als vor einem Jahr für die vom Präsidenten vorgeschlagene und knapp gescheiterte Verfassungsreform. Die oppositionellen Kräfte verloren hingegen im direkten Vergleich etwa 300000 Stimmen.

Trotzdem jubelten die Konservativen nach Bekanntwerden der Ergebnisse. Sie hielten nicht nur die bereits bisher von ihnen regierten Bundesstaaten Zulia und Nueva Esparta, sondern setzten sich auch im Kampf um das wichtige Oberbürgermeisteramt der Hauptstadt Caracas durch – ein dramatischer Verlust für die bolivarische Bewegung. Die Metropole mit ihren über fünf Millionen Einwohnern ist das Zentrum für die sozialen Bewegungen. Der an Caracas angrenzende Bundesstaat Miranda ging ebenso an die Opposition. Verlierer dort ist der ehemalige Militär Diosdado Cabello, dem auch innerhalb der bolivarischen Bewegung »Ineffizienz« und große Nähe zum privaten Unternehmertum vorgeworfen wurden. Unklar blieb zunächst der Wahlausgang in Carabobo und Táchira, aber auch hier scheinen sich konservative Kandidaten gegen die bolivarischen Kräfte knapp durchgesetzt zu haben.

Bei den meisten der zukünftig von der PSUV regierten Provinzen handelt es sich um Flächenstaaten mit einer geringen Bevölkerungsdichte. Ausnahmen sind Falcón und Bolívar, wo wichtige Ballungsgebiete der Öl- und Schwerindustrie liegen. Von strategischer Bedeutung sind außerdem die Staaten der Andenkordillere Yaracuy, Lara, Trujillo und Mérida. Die Opposition hält mit Zulia einen Bundesstaat unter ihrer Kontrolle, der durch seine Grenze mit Kolumbien und die Ölvorkommen im Maracaibo-See eine besondere Bedeutung hat. Sollte auch Táchira an die Reaktion fallen, würden die Chávez-Gegner damit den größten Teil der westlichen Grenze zu Kolumbien kontrollieren, was den Kampf gegen das Einsickern paramilitärischer Banden nach Venezuela weiter erschweren dürfte.

Appell von Chávez

Chávez räumte noch in der Nacht zum Montag die Niederlagen seiner Partei in Caracas und Miranda ein und rief die dortigen Wahlsieger dazu auf, die »demokratischen Spielregeln« zu beachten. So wie er sie anerkennen müsse, müßten auch sie ihn als Präsidenten anerkennen, forderte Chávez. Zugleich nutzte er die Erfolge der Opposition, um auf die Widersprüche in der Argumentation der rechten Kräfte zu verweisen: »Wer will jetzt noch behaupten, daß in Venezuela eine Diktatur herrscht?«

Die Abspaltungen von der PSUV wie die vom Parlamentsabgeordneten Luís Tascón gegründete Partei »Neuer Revolutionärer Weg« (NCR) blieben bedeutungslos. Auch die Konkurrenzkandidaturen linker Parteien gegen die PSUV in einigen Bundesstaaten waren erfolglos. In keinem Fall konnte die rechte Opposition von diesen Spaltungen profitieren.

In Guárico errang die von der im linken Lager angesiedelten Partei Heimatland für alle (PPT) unterstützte Lenny Manuitt, die Tochter des bisherigen Gouverneurs des Staates, einen Achtungserfolg. Mit 33,68 Prozent belegte sie den zweiten Platz und verurteilte den Kandidaten der rechten Opposition zur Bedeutungslosigkeit. Künftiger Gouverneur dieses Staates ist allerdings der frühere Informationsminister Willian Lara, der außer von der PSUV auch von der Kommunistischen Partei (PCV) und anderen unterstützt worden war.

Mit Malte Daniljuk
Erschienen am 25. November 2008 in der Tageszeitung junge Welt