Schmutziges Spiel

In der Türkei kommt es seit Tagen zu Auseinandersetzungen zwischen vor allem kurdischen Demonstranten und der Polizei. Die Kurden seien wütend über die »Untätigkeit« der Regierung in Ankara, heißt es dazu in der »Tagesschau«. Sie forderten ein »Eingreifen« zum Schutz der von den Milizen des »Islamischen Staats« (IS) angegriffenen Bürger in der vor allem von Kurden bewohnten syrischen Stadt Kobani (Ain Al-Arab).

 

Sie lügen wie gedruckt. Sprecher der kurdischen Bewegung in der Türkei haben wiederholt darauf hingewiesen, dass es sich nicht um Proteste gegen das »Nichtstun« Ankaras handelt, sondern vielmehr um eine Antwort auf das »Tun« der türkischen Regierung. Denn vor Ort ist zahlreichen Augenzeugenberichten zufolge kaum zu übersehen, dass die IS-Milizen auf stillschweigende oder gar aktive Unterstützung durch die türkische Armee zählen können. Verletzte IS-Kämpfer werden in türkischen Krankenhäusern behandelt, Transporte mit Waffen über die Grenze aus der Türkei nach Syrien gelassen. Gleichzeitig werden kurdische Freiwillige, die sich an der Verteidigung Kobanis beteiligen wollen, am Grenzübertritt gehindert, Zurückkehrende als »PKK-Terroristen« verhaftet.

Das schmutzige Spiel Ankaras zielt darauf, mit der Empörung über die Greueltaten des IS in Kobani Druck auf die NATO zu entwickeln, damit diese das Geschäft des türkischen Regimes besorgt. Ziele Ankaras sind nach wie vor der Sturz der syrischen Regierung und eine Vergrößerung des eigenen Einflusses in den Nachbarländern. Dafür braucht Ankara die Eskalation in Syrien, und die hat sie bereits mehrfach zu provozieren versucht. Erinnert sei an das Wegsehen der türkischen Sicherheitskräfte bei den Autobombenanschlägen im Mai 2013 in Reyhanli, die der syrischen Regierung angelastet wurden. Tatsächlich war aber, wie später nachgewiesen wurde, die islamistische »Al-Nusra-Front« für die Attentate verantwortlich.

Mehr Macht soll Ankara nun die Einrichtung einer vom türkischen Militär kontrollierten »Pufferzone« im syrischen Teil Kurdistans bringen. So könnte die kurdische Bewegung im eigenen Land wie in Syrien geschwächt und Gebiete mit reichen Bodenschätzen unter die eigene Kontrolle gebracht werden. Oder glaubt wirklich jemand, dass sich die türkischen Truppen nach einem Ende des Krieges in Syrien oder der Zerschlagung der IS-Banden zurückziehen würden?

In den deutschen Fernsehnachrichten wiederholt sich die Schmierenkomödie, wie wir sie seit Monaten aus der Ukraine kennen. Deutsche Korrespondenten schüren einmal mehr Krisen und provozieren, wie von Bundespräsident Joachim Gauck gefordert, ein größeres »deutsches Engagement«. Daran, dass deutsche »Patriot«-Raketen und Bundeswehrsoldaten an der Grenze zu Syrien stehen, wird dabei in der »Tagesschau« ungern erinnert. Doch sie wären, wenn die Türkei den »NATO-Bündnisfall« herbeiführen kann, als erste mitten im Krieg dabei.

Erschienen am 10. Oktober 2014 in der Tageszeitung junge Welt