Sanktionen gegen Maduro

Nach der Wahl einer verfassunggebenden Versammlung in Venezuela gibt sich die selbsternannte »internationale Gemeinschaft« empört. Präsident Nicolás Maduro habe »gegen deren ausdrücklichen Rat« den Prozess zur Constituyente »nicht angehalten«, beschwerte sich ein namentlich nicht genannter Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. »Die vorhersehbare Eskalation der Gewalt hat an diesem Wochenende mehr als 15 Todesopfer gefordert«, heißt es in dem Statement. Damit übernimmt Berlin vorbehaltlos Äußerungen der venezolanischen Opposition, während die Anklagebehörde des südamerikanischen Landes von zehn Opfern ausgeht. Mit Blick auf die seit April anhaltenden Proteste in Venezuela spricht Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz, die inzwischen in Opposition zur Regierung steht, von insgesamt 121 Todesopfern. Für 25 Prozent davon machte sie bei einer Pressekonferenz am Montag (Ortszeit) in Caracas die Sicherheitskräfte verantwortlich. Die Tageszeitung Ciudad CCS geht inzwischen sogar von 151 Opfern aus, die sie auf ihrer Homepage namentlich und mit möglichst genauen Informationen zu den Todesumständen auflistet. Die Differenz zu den Angaben der Anklagebehörde erklärt die Redaktion damit, dass die Opposition Opfer der Proteste unterschlage, die nicht in ihr Propagandakonzept passen, etwa weil die Täter selbst offenkundig Regierungsgegner waren. Aus Berlin heißt es trotzdem nur: »Wir verurteilen den unverhältnismäßigen Einsatz von Gewalt seitens der Sicherheitskräfte.« Eine Distanzierung vom Terrorismus in Venezuela hält man nicht für nötig, obwohl am Sonntag sogar ein Sprengstoffanschlag auf einen Motorradkonvoi der Nationalgarde verübt wurde und die Bilder davon um die Welt gingen.

Das Auswärtige Amt sekundiert damit der US-Administration. Das Finanzministerium in Washington verhängte am Montag (Ortszeit) Sanktionen gegen Maduro. Finanzminister Steven T. Mnuchin verkündete, dass Maduro ein »Diktator« sei, der »den Willen des venezolanischen Volkes missachtet«.

Dagegen warnte das russische Außenministerium am Montag davor, die Wahlen in Venezuela nicht anzuerkennen und den wirtschaftlichen Druck auf Caracas zu erhöhen. Der Ausgang der Abstimmung am Sonntag sei ein klares Zeichen dafür, dass die Krise durch einen politischen Dialog im Rahmen der geltenden Rechtsordnung bewältigt werden müsse. Es sei notwendig, »normale Bedingungen« auch auf internationaler Ebene zu schaffen, »damit die verfassunggebende Versammlung die Grundlagen für eine friedliche Lösung der Differenzen in der venezolanischen Gesellschaft legen« könne.

Maduro selbst kommentierte die Entscheidung »der Regierung des Imperators Donald Trump« als Ausdruck »ihrer Ohnmacht, ihrer Hoffnungslosigkeit, ihres Hasses«, weil Venezuela Washingtons Befehl missachtet habe, die Wahl vom Sonntag abzusagen. »Ich gehorche keinen imperialen Befehlen«, sagte er in Caracas. »Ich bin ein freier und unabhängiger, aber außerdem antiimperialistischer Präsident. Ich bin gegen den Ku-Klux-Klan, der im Weißen Haus regiert, und stolz darauf.«

Bei der Wahl am Sonntag hatten sich nach Angaben des Nationalen Wahlrats (CNE) mehr als acht Millionen Menschen beteiligt, was 41,5 Prozent der Wahlberechtigten entspricht. Detaillierte Ergebnisse hatte die Behörde bis Dienstag noch nicht veröffentlicht. Durch den Boykott der Opposition kann aber davon ausgegangen werden, dass die Bewerber der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) die überwältigende Mehrheit der Sitze in der Constituyente gewonnen haben. Bereits in der Nacht zum Montag hatte der CNE die Namen von 33 Kandidaten genannt, die in den Wahlkreisen angetreten waren und deren Erfolg zu diesem Zeitpunkt feststand. Zu ihnen gehörten PSUV-Vizechef Diosdado Cabello, die frühere Außenministerin Delcy Rodríguez und Maduros Ehefrau Cilia Flores. Bei anderen sei der Auszählungsstand zu diesem Zeitpunkt noch zu knapp gewesen, Ergebnisse könnten deshalb noch nicht verkündet werden, teilte CNE-Präsidentin Tibisay Lucena mit. Die lokale Tageszeitung El Luchador berichtete allerdings schon, dass sich im Bezirk Piar im Nordosten Venezuelas der frühere Bürgermeister von Upata, Cruz Francisco Contreras, der für die Kommunistische Partei (PCV) angetreten war, gegen den Bewerber der PSUV durchsetzen konnte. Dem Blatt gegenüber kündigte Contreras an, sich dafür einsetzen zu wollen, dass in Venezuela »das Volk, die Arbeiter, die Bauern« die »reale Macht« übernehmen und nicht dem etablierten Apparat unterworfen blieben. Dazu seien »strukturelle Veränderungen des Staates« notwendig.

Unklar war am Dienstag auch noch, wer über die »Sektoren« in die Constituyente gewählt worden ist. Die Venezolaner hatten erstmals die Möglichkeit, entsprechend ihrer sozialen Gruppe Vertreter zu bestimmen. So konnten abhängig Beschäftigte 79 Arbeiter in die Versammlung entsenden, die Studierenden entschieden über 24 Sitze, die Unternehmer über fünf.

Nach der Abstimmung rückte die Bedeutung der Wahlbeteiligung in den Mittelpunkt der Diskussion. Als Vergleichsmaßstab für die Wahlbeteiligung von 41,5 Prozent wird oft das von den Regierungsgegnern am 16. Juli durchgeführte »Plebiszit« herangezogen, an dem sich nach deren Darstellung rund 7,5 Millionen Menschen, etwa ein Drittel der Berechtigten, beteiligt hatten. Außerdem wird debattiert, welche Auswirkungen der Druck gehabt hatte, der offenbar in einigen staatlichen Institutionen auf die Beschäftigten ausgeübt wurde, an der Wahl teilzunehmen. Zudem wurden in unmittelbarer Umgebung der Abstimmungslokale am Sonntag Stände aufgebaut, in denen die »Carnets de la Patria« der Wähler erfasst wurden. Diese »Ausweise des Heimatlandes« dienen dazu, die Teilnahme der Inhaber an den staatlichen Sozialprogrammen, den »Missionen«, zu erfassen. Das Scannen der Karten wurde als Drohung interpretiert, Wahlverweigerern Leistungen zu streichen. Sollte das der Hintergrund gewesen sein, hat der Apparat allerdings ein Problem: Offiziell besitzen mehr als 15 Millionen Venezolaner das Carnet – mindestens sieben Millionen von ihnen haben also nicht an der Wahl zur Constituyente teilgenommen.

Als die Opposition im Jahr 2005 die Parlamentswahlen boykottierte und nur »chavistische« Kandidaten antraten, lag die Beteiligung lediglich bei 25,2 Prozent, insgesamt gaben damals nur 3,6 Millionen Menschen ihre Stimme ab. Trotzdem bestand diese Nationalversammlung unangefochten fünf Jahre lang. Wenn die Beteiligung also als Gradmesser für die Unterstützung der Constituyente und der Regierung gewertet wird, sind die acht Millionen Stimmen das beste Ergebnis, das Maduro je erzielt hat – und es fehlten nicht viele zum Rekordergebnis von Hugo Chávez bei der Präsidentschaftswahl 2012.

Erschienen am 2. August 2017 in der Tageszeitung junge Welt