Sandinisten-ABC

Vor Tausenden Menschen erklärte Nicaraguas Präsident Daniel Ortega sein Land am vergangenen Wochenende für vom Analphabetismus befreit. Der Anteil der erwachsenen Bevölkerung des mittel­amerikanischen Staates, der weder lesen noch schreiben kann, sei seit der Rückkehr der Sandinisten an die Regierung im Januar 2007 von 21 Prozent auf nun 3,56 Prozent zurückgegangen. Das habe auch die UNESCO bestätigt, so Ortega. Die für Bildung zuständige Unterorganisation der Vereinten Nationen verlangt eine Analphabetenrate von unter vier Prozent, damit ein Land als voll alphabetisiert gelten kann. Nach Kuba, Venezuela und Bolivien ist Nicaragua nun das vierte Mitgliedsland der Bolivarischen Allianz ALBA, das diesen Erfolg feiern konnte.

Nicht zufällig fiel die Kundgebung mit dem 29. Jahrestag des Beginns der ersten großen Alphabetisierungskampagne der Sandinisten zusammen. Ab dem Sommer 1980, rund ein Jahr nach dem Sieg der Befreiungsfront FSLN, waren Tausende Jugendliche ausgeschwärmt, um den Menschen Lesen und Schreiben beizubringen. Obwohl die jungen Lehrerinnen und Lehrer zu einem bevorzugten Angriffsziel der von den USA ausgehaltenen Contra-Banden wurden, gelang es in den zehn Jahren der Sandinistischen Revolution, die Analphabetenrate von bis zu 60 Prozent auf 10,5 Prozent zu senken.

Als 1990 jedoch die FSLN abgewählt wurde und rechte Regierungen das Ruder übernahmen, war Schluß mit solchen Errungenschaften. Die neoliberalen Präsidenten privatisierten das Bildungswesen und nahmen in Kauf, daß Tausende von Kindern und Jugendlichen nicht mehr zur Schule gehen konnten. Die Analphabetenrate stieg wieder auf bis zu 30 Prozent, obwohl in den von den Sandinisten regierten Städten und Gemeinden die Bildungsarbeit mit kubanischer Unterstützung fortgesetzt werden konnte.

»Den neoliberalen Regierungen fehlten nie die Haushaltsmittel, nie fehlte es ihnen an ausländischer Finanzhilfe, niemals wurde ihnen auch nur ein Peso der ausländischen Hilfen gekürzt«, erinnerte Präsident Ortega auch mit Blick auf die gegenwärtige Kürzung von Finanzhilfen aus den USA und Europa. So hatte die deutsche Bundesregierung im vergangenen Jahr rund elf Millionen Dollar Hilfszahlungen an die nicaraguanische Regierung gestrichen. »Die neoliberalen Regierungen regierten mit großen Geldmitteln, es gab noch keine Weltwirtschaftskrise; die Wirtschaft wuchs, im Land herrschte Frieden. Warum hinterließen sie dann so viel Armut, und warum stieg der Analphabetismus so an«, fragte Ortega.

Nicaraguas Bildungsminister Miguel de Castilla setzte sich bei der Veranstaltung mit der Kritik der Oppositionsparteien auseinander. Diese monieren, daß es der Regierung an Plänen mangele, was man nun mit den Menschen anfangen könne, die gerade Lesen und Schreiben gelernt haben. »Unser Ziel ist, daß die gerade alphabetisierte Bevölkerung im Jahr 2015 die sechste Schulklasse besucht und 2021 die gesamte Bevölkerung das Abitur besitzt.« Der Analphabetismus sei, betonte der Minister weiter, das »rechtmäßige Kind des Neoliberalismus«. Er erinnerte daran, daß zu den ersten Maßnahmen der neuen sandinistischen Regierung das Verbot jeglicher Schulgebühren gehörte.

Mit dem »neuen Bildungsmodell« seien »die Ärmsten der Armen, die der Neoliberalismus verstecken wollte, an das Licht gekommen.« Denn in Wahrheit liege die Zahl der Menschen, die in Nicaragua nicht zur Schule gehen können, nicht bei 1,6 Millionen, sondern bei drei Millionen. Aus diesem Grund habe man »mit den ersten 500000 Menschen begonnen« und werde »mit den 500000 Kindern weitermachen, die nicht in der Schule sind«. Schließlich werde man sich »um die 500000 kümmern, die nur eine Ausbildung der geringsten Qualität erhalten.«

Erschienen am 26. August 2009 in der Tageszeitung junge Welt