»Rückkehr in die Ukraine ist ausgeschlossen«

[tds_info]Stanislaw Retinskij ist Sekretär des ZK der Kommunistischen Partei der Donezker Volksrepublik (KPDVR) und Chefredakteur der Parteizeitung Wpered[/tds_info]

Welche Rolle spielte die Kommunistische Partei der Donezker Volksrepublik bei den Ereignissen im Donbass, die zur Abspaltung von der Ukraine führten?

Die Donezker Kommunisten – die damals noch Mitglieder des Oblast Donezk der KP der Ukraine waren – gingen im Februar 2014 als erste auf die Straße, um das Lenin-Denkmal zu verteidigen. Die ersten Zelte, die damals auf dem Platz aufgestellt wurden, um das Monument gegen Angriffe der ukrainischen Nationalisten zu beschützen, waren die der Kommunisten, und sie gehörten von Anfang an zu den Organisatoren des sogenannten Anti-­Maidan, des Russischen Frühlings in Donezk. Der Erste Sekretär des ZK der KPDVR, Boris Litwinow, hat die Unabhängigkeitserklärung der Donezker Volksrepublik verfasst und war verantwortlich für die Durchführung des Referendums vom 11. Mai 2014 (bei dem sich eine überwältigende Mehrheit der Teilnehmer für die Abspaltung von der Ukraine aussprach; Anm. d. Red.). Diese Abstimmung konnte auch deshalb nahezu flächendeckend durchgeführt werden, weil die Kommunisten Organisationsstrukturen in allen Teilen des damaligen Oblast hatten. Boris Litwinow leitete zunächst auch den Obersten Sowjet der DVR, und ein Großteil seiner Mitglieder waren Kommunisten.

Diesen starken Einfluss haben Sie jedoch nach einiger Zeit verloren, 2016 wurden Sie aus zentralen Verantwortlichkeiten verdrängt. Wo stehen Sie heute?

Wir sind derzeit nicht in die offizielle Politik der Staatsführung der DVR eingebunden. Das liegt unter anderem daran, dass wir immer die fehlende Konsequenz ihrer Politik kritisiert haben und weiter kritisieren. Deshalb haben auch die drei kommunistischen Abgeordneten 2016 ihre Sitze im Obersten Sowjet verloren. Uns interessieren allerdings weniger Sitze im Parlament, als vielmehr, die Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten.

Um diese Prozesse zu verstehen, muss man wissen, dass die führenden Kräfte des Widerstands im Donbass kleinbürgerlich sind. Sie verfügen allerdings über die Unterstützung ganz weiter Teile der Werktätigen. Wenn wir sagen, dass wir die Interessen des Donbass verteidigen, meinen wir in erster Linie natürlich die der Arbeiterklasse. Die kleinbürgerlichen Kräfte dagegen betreiben aufgrund ihrer Klassensituation eine nicht konsequente Politik. Zugleich muss man aber feststellen, dass diese Kräfte den Kampf gegen den ukrainischen Nationalismus und die ukrainische Oligarchie angeführt haben, die sich bis heute der Unterstützung des EU- und US-Imperialismus erfreuen. Natürlich unterstützen wir diesen antiimperialistischen Teil des Kampfes der kleinbürgerlichen Kräfte, die allerdings auch hier eine inkonsequente Position haben. Sie wollen die Oligarchie abschaffen, aber die Marktbeziehungen behalten. Wir gehen dagegen davon aus, dass die demokratische Bewegung des Donbass in eine vollständig kommunistische Bewegung hinüberwachsen muss.

Wenn hierzulande vom Donbass die Rede ist, geht es meist um eine angebliche russische Intervention in der Ukraine und darum, dass der russische Präsident Wladimir Putin ein Aggressor sei.

Die Donezker Volksrepublik ist nicht dank Russlands entstanden, sondern zunächst sogar gegen den Willen Russlands. Die DVR ist das Ergebnis von Konflikten innerhalb der Ukraine. So hat Wladimir Putin im Vorfeld des Referendums 2014 versucht, eine Verschiebung der Abstimmung zu erreichen. Eine systematische Hilfe für den Donbass hat erst im August 2014 begonnen, also rund ein halbes Jahr nach dem Staatsstreich in Kiew. Hätte der Westen die Zugehörigkeit der Krim zu Russland anerkannt und die Sanktionen aufgehoben, hätte der Donbass vermutlich überhaupt keine russische Hilfe erhalten. Zum Glück ist es so, dass es in dieser historischen Phase Widersprüche zwischen den imperialistischen Mächten geben muss, und die Ausnutzung dieser Widersprüche erlaubt es dem Donbass, zu widerstehen. Auch Länder wie Venezuela, Syrien und andere können sich nur behaupten, weil sie diese innerimperialistischen Widersprüche ausnutzen. In diesem Sinne sehen wir den Donbass als Teil des antiimperialistischen Kampfes.

Am 31. August ist das Republikoberhaupt der DVR, Alexander Sachartschenko, in Donezk ermordet worden. Wie bewertet die Kommunistische Partei dieses Verbrechen?

Ich bin natürlich kein Teil eines staatlichen Ermittlungsorgans, so dass ich nichts über die Verantwortlichen für diesen Mord sagen kann. Ich kann nur sagen, was wir als Kommunisten über Alexander Sachartschenko als Republikoberhaupt dachten. Er hatte ohne Zweifel große Autorität sowohl unter den einfachen Menschen als auch unter den Soldaten der Armee unserer Republik. Er war kein Kommunist, aber er war linken Ideen gegenüber sehr aufgeschlossen. So hat er ganz ernsthaft vertreten, dass die Staatsideologie der DVR die Ideologie der Sowjetunion sein müsse. Und er hat festgestellt, dass in der DVR das erreicht werden konnte, was in Kiew nicht zu erreichen war, nämlich ein Sieg über die Oligarchie. Er hat ganz zweifellos den Kampf gegen den ukrai­nischen Nationalismus als Ziel seines Lebens angesehen. Andererseits war auch Alexander Sachartschenko ein Vertreter des Kleinbürgertums, so dass es in seiner Politik ebenfalls Widersprüche gab.

Und welche Perspektive sieht die KPDVR für die Donezker Volksrepublik? Bleibt es auf jeden Fall bei der Eigenständigkeit, oder ist auch eine Rückkehr in die Ukraine oder ein Anschluss an die Russische Föderation denkbar?

Diese Frage wird innerhalb unserer Partei bis heute diskutiert. Eine Rückkehr in die Ukraine wird allerdings von allen ausgeschlossen.

Ein Teil der Partei vertritt ganz entschieden, dass die DVR ein eigenständiger Staat bleiben müsse, weil es in Russland sehr viele Probleme gibt, die mit dem Kapitalismus und den russischen Oligarchen verbunden sind. Andere Genossen treten für die Perspektive eines Beitritts in die Russische Föderation ein, weil das 2014 die Mehrheit der Einwohner des Donbass gewünscht habe und auch heute noch wünsche. Es sei, so sagen sie, sektiererisch von den Kommunisten, trotzdem auf der Eigenständigkeit der DVR zu bestehen. Die Probleme in Russland müssten gemeinsam vom Proletariat Russlands und des Donbass gelöst werden.

In dieser Diskussion gibt es auch noch eine Kompromissvariante, die eine wirtschaftliche Integration mit Russland im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion bei Beibehaltung der staatlichen Souveränität der Donezker Volksrepublik vorschlägt.

Ein Großteil der Arbeit unserer Partei konzentriert sich derzeit auf den internationalen Bereich, um die Anerkennung der DVR zu befördern. Wir denken, dass wir durch den Aufbau von Beziehungen zu Parteien in aller Welt einen großen Beitrag zu dieser Anerkennung leisten können. Wir sind der DKP deshalb auch sehr dankbar für die Möglichkeit, dass wir am UZ-Pressefest in Dortmund teilnehmen konnten.

Neben der Donezker gibt es auch die Lugansker Volksrepublik. Wie ist das Verhältnis zwischen diesen beiden Staaten?

Die Probleme der beiden Republiken sind sehr ähnlich, weil es sich um dieselbe Region handelt. Natürlich leidet die LVR genauso wie die DVR unter der Blockade durch Kiew und durch den anhaltenden Artilleriebeschuss. Trotzdem waren die Beziehungen unter uns bislang die zwischen zwei verschiedenen Ländern. Bis vor kurzem gab es Zölle an der gemeinsamen Grenze. Statt eine wirtschaftliche Integration beider Republiken anzustreben, haben die Führungen sogar gewisse Barrieren aufgebaut. In diesem Jahr ist aber ein wichtiger Schritt unternommen worden, indem die Zölle und andere Beschränkungen im Grenzverkehr aufgehoben wurden.

Gibt es die Perspektive einer Vereinigung der beiden Republiken, oder ist das nicht gewollt?

Beide Republiken haben sich von der Ukraine abgespalten, deshalb gibt es in meinen Augen diese Perspektive. Wir haben einen gemeinsamen Feind, den ukrainischen Nationalismus und den Weltimperialismus. Eine wirkliche Chance haben beide Republiken nur bei einer engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit und tatsächlich einer Vereinigung.

Erschienen am 17. September 2018 in der Tageszeitung junge Welt