Rückkehr der Rechten

Am Sonntag wählt Chile einen neuen Präsidenten. Die vier Kandidaten, die sich um die Nachfolge der scheidenden sozialdemokratischen Staatschefin Michelle Bachelet bewerben, haben am Donnerstag ihre Wahlkampagnen mit Großkundgebungen abgeschlossen. In den Umfragen führt der Vertreter der chilenischen Rechten, Sebastián Piñera. Das Meinungsforschungsinstitut CERC sieht ihn mit 44,1 Prozent deutlich vor dem Christdemokraten und früheren Präsidenten Eduardo Frei, der demnach auf 31 Prozent kommen wird. Abgeschlagen folgen der unabhängige, von Grünen und Humanisten unterstützte Kandidat Marco Enríquez-Ominami, dem 17,7 Prozent vorausgesagt werden, sowie der Vertreter der Kommunisten und Christlichen Linken, Jorge Arrate, der auf 7,2 Prozent kommt. Auch für die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen, die im Januar stattfinden wird, falls kein Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen kann, sieht CERC den Rechten vorn.

Fast 20 Jahre nach dem Ende der blutigen Pinochet-Diktatur droht damit eine Rückkehr von deren Anhängern in den Präsidentenpalast La Moneda, in dem am 11. September 1973 der demokratisch gewählte sozialistische Präsident Salvador Allende ermordet wurde. Obwohl sich Piñera selbst zugute hält, zum Beispiel bei der Volksabstimmung im Jahr 1988 gegen einen Verbleib Pinochets im Amt und damit für ein Ende der »Militärregierung« gestimmt zu haben, gehörte seine Partei, die 1987 gegründete »Nationale Erneuerung« (RN), zu den Kräften, die gegen einen Übergang zur parlamentarischen Demokratie kämpften und sich mehrheitlich für eine Fortsetzung des Pinochet-Regimes einsetzten. Unterstützt wird der Großunternehmer Piñera, der an der größten Fluggesellschaft Chiles, der populärsten Fußballmannschaft und dem führenden Fernsehsender des Landes beteiligt ist, auch von der rechtsextremen »Unabhängigen Demokratischen Union« (UDI), in der sich die härtesten Pinochet-Anhänger zusammengeschlossen haben. Er selbst präsentiert sich hingegen als Anhänger der Demokratie, »unserer natürlichen Form des Lebens und Zusammenlebens«. Die »Militärregierung« – das Wort Diktatur sucht man vergeblich – habe »wichtige Modernisierungsvorhaben verwirklicht, die bis heute wirken«, obwohl sie auch »Schmerz und Leiden für viele Landsleute« bedeutet habe.

Vor diesem Hintergrund hat Linkskandidat Jorge Arrate seine Konkurrenten zu einem Abkommen für die zweite Runde der Präsidentschaftswahl aufgerufen, um einen Durchmarsch der Rechten zu verhindern. Freis Sprecher José Antonio Gómez kündigte daraufhin an, daß der auch von Sozialisten und Radikaler Partei unterstützte Kandidat den Vorschlag der Linken nach der Wahl »zweifellos aufgreifen« werde. Der Vorschlag Arrates, der nach dem Putsch 1973 ins Exil gehen mußte und bis 1987 in Rom, Berlin (DDR) und Rotterdam lebte, sei ein klarer Beleg dafür, »daß in Chile eine große Mehrheit nicht will, daß die Rechte an die Regierung kommt«, so Gómez.

Ähnliche Erklärungen hatte es auch vor vier Jahren gegeben, als die Linke in der Stichwahl die Kandidatin und spätere Präsidentin Michelle Bachelet unterstützt hatte. Die wichtigste Bedingung, die das damalige Bündnis »Juntos Podemos Más« (Gemeinsam können wir mehr) aufstellte, war die Überwindung des geltenden Wahlsystems, das die großen Parteien bevorzugt und kleinere Kräfte benachteiligt. So sind die Kommunisten trotz Ergebnissen von über fünf Prozent der Stimmen im nationalen Parlament nicht vertreten. Auch vier Jahre nach dem Amtsantritt Bachelets hat sich daran nichts geändert. »Wenn bis heute eine Überwindung des binominalen Wahlsystems nicht möglich war, dann deshalb, weil es die Blockade durch die Opposition nicht zugelassen hat«, räumte Bachelet im Oktober ein, nachdem sie die Führungsspitze der Kommunisten im Regierungssitz empfangen hatte. »Die Demokratie braucht die Beteiligung aller ihrer Akteure. Mehrheiten und Minderheiten brauchen eine angemessene Vertretung im Parlament«, forderte Bachelet.

Die neuen Chancen der Rechten sind aber zu einem guten Teil auch Folge der Regierungspolitik der vergangenen Jahre. So wurden Proteste der Mapuche-Indígenas, die sich gegen das Abholzen der bis zu 1000 Jahre alten Araukarien­wälder durch die Industrie zur Wehr setzten, von der chilenischen Polizei brutal niedergeschlagen. Und erst am Mittwoch traten rund 4000 Arbeiter des staatlichen Codelco-Konzerns aus Protest gegen niedrige Löhne in den Streik und blockierten die Zugänge zum größten Kupfer-Tagebau der Welt in Chuquicamata.

Erschienen am 11. Dezember 2009 in der Tageszeitung junge Welt und am 12. Dezember 2009 in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek