junge Welt, 3. August 2018

Rückfall in den Krieg

Wenn Kolumbiens neuer Präsident Iván Duque am kommenden Dienstag sein Amt antritt, übernimmt er ein Land im Kriegszustand – und die Hoffnung schwindet, dass der vom scheidenden Staatschef Juan Manuel Santos eingeleitete Friedensprozess fortgesetzt wird.

Am Donnerstag (Ortszeit) endete in Havanna die zunächst letzte Runde der Gespräche zwischen der bisherigen Regierung und der ELN-Guerilla. Zu der erhofften Vereinbarung eines neuen Waffenstillstands kam es nicht. Man habe zwar wichtige Fortschritte gemacht, es blieben aber noch offene Fragen, teilten beide Verhandlungsdelegationen in einem gemeinsamen Statement mit. Die ELN (Nationale Befreiungsarmee) ergänzte in einem Beitrag auf ihrer Internetseite, dass man von der Gegenseite verlangt habe, »humanitäre Verbesserungen« in eine neue Waffenstillstandsvereinbarung aufzunehmen. Durch diese solle das »Massaker an sozialen Führungspersönlichkeiten« gestoppt werden, das Kolumbien seit November 2016 erschüttere.

Damals hatten die Guerilleros der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC-EP) einen Friedensvertrag mit der Regierung Santos unterzeichnet und in der Folge ihre Waffen abgegeben. Seither jedoch reißt die Serie von Morden an Linken, Gewerkschaftern, Menschenrechtsaktivisten und ehemaligen Guerilleros nicht mehr ab. Die venezolanische Solidaritätsorganisation Cosi verbreitete am Donnerstag, dass zwischen dem 1. Januar 2016 und dem 23. Juli 2018 mindestens 328 Aktivisten ermordet worden seien. Allein seit der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl am 17. Juni wurden mindestens 30 Oppositionelle getötet.

Die ELN sieht sich deshalb in ihrem Kurs bestätigt, die Waffen nicht abgeben zu wollen. Das »vollständige Scheitern« des Abkommens zwischen den FARC-EP »und der kolumbianischen Oligarchie« habe einmal mehr klargemacht, welche Bedeutung auch heute noch der »revolutionäre bewaffnete Kampf« habe, schrieb der oberste ELN-Comandante Gabino alias Nicolás Rodríguez Bautista Anfang Juli in einem Brief an die Kämpfer seiner Organisation. Auch in den Reihen der ehemaligen FARC-Guerilleros macht sich Unmut breit. Mehrere hundert von ihnen haben sich inzwischen insgesamt 29 Abspaltungen angeschlossen, die den bewaffneten Kampf fortsetzen. Während eine Reihe dieser Gruppen keine politischen Ziele mehr verfolgt und in die Kriminalität abgerutscht ist, arbeiten andere offenbar an einem Neuanfang. Mitte Juli veröffentlichte die bürgerliche Wochenzeitschrift Semana einen groß aufgemachten Bericht, wonach insgesamt 4.000 Aufständische »die FARC-EP neu gründen« wollten. Am 21. Juli verbreitete das linke Internetportal Resumen Latinoamericano ein Schreiben des früheren Comandante Fidel Rondón, in dem dieser seinen Austritt aus der legalen Partei FARC erklärt, die am 1. September 2017 als Nachfolgerin der Guerillaorganisation gegründet worden war.

In den vergangenen Wochen sind in Kolumbien Tausende Menschen gegen das Morden und für den Frieden auf die Straße gegangen. Aus Anlass des bevorstehenden Regierungswechsels in Kolumbien rufen nun auch in Deutschland Initiativen zu Kundgebungen auf. Für Samstag mobilisiert »Aluna Minga« in München zu einer Demonstration, die um 14 Uhr an der U-Bahn­station Münchner Freiheit beginnt und ab 15.30 Uhr mit einer mehrstündigen Kundgebung auf dem Odeonsplatz fortgesetzt werden soll. In Berlin demonstrieren unter anderem »Colombia Humana« und andere Gruppen am Dienstag, 7. August, zwischen 18 und 21 Uhr am Brandenburger Tor.

Erschienen am 3. August 2018 in der Tageszeitung junge Welt