Rotlicht: Bolivarische Revolution

junge Welt, 4.5.2016
junge Welt, 4.5.2016

Die »Bolivarische Revolution« (manchmal auch: Bolivarianische Revolution) ist der 1999 mit dem Amtsantritt von Hugo Chávez initiierte Veränderungsprozess in Venezuela. Der Begriff »Bolivarisch« bezieht sich auf den in Venezuela als Nationalheld verehrten Simón Bolívar (1783–1830), der im 19. Jahrhundert den Kampf um die Unabhängigkeit Südamerikas von der spanischen Kolonialherrschaft angeführt hatte. Sein Wirken wird von den Anhängern der Bolivarischen Revolution als antiimperialistisch und sozialemanzipatorisch interpretiert, einige eifrige Verfechter dichten Bolívar sogar Sympathien für den Sozialismus an.

Mit dem Wort »Revolution« bezeichnete Chávez den Bruch mit der bis 1999 in dem südamerikanischen Land herrschenden repräsentativen Demokratie, in der sich über vier Jahrzehnte zwei Parteien an der Regierung abgewechselt hatten. Als Alternative dazu strebte die von Chávez geführte Bewegung den Aufbau einer partizipativen Demokratie an, in der die Bevölkerung direkter als bisher an den sie betreffenden Entscheidungen beteiligt ist.

Eine umfassende, detaillierte und verbindliche Beschreibung, welches Ziel die Bolivarische Revolution verfolgt, gibt es nicht. Grundlegend sind die Verteidigung der Unabhängigkeit und Souveränität Venezuelas, soziale Gerechtigkeit und die Zusammenarbeit mit den anderen Ländern Lateinamerikas und der Karibik. Ab 2005 proklamierte Chávez den »Sozialismus des XXI. Jahrhunderts« bzw. »Bolivarischen Sozialismus« als einzig mögliche Alternative zum Kapitalismus.

In den Jahren seiner Regierungszeit bis zu seinem Tod 2013 gelang es ihm, breite Schichten der Bevölkerung zu mobilisieren. Er rief die Menschen auf, sich selbst zu organisieren und für ihre Interessen einzutreten. 1999 wurde eine neue Verfassung verabschiedet, die weitreichende soziale und demokratische Rechte beinhaltet. Chávez scheiterte allerdings 2007 mit dem Versuch, dieses Grundgesetz um den Aufbau des Sozialismus sowie alternative Staatsstrukturen – die »Volksmacht« – zu erweitern. Bei dem dazu durchgeführten Referendum lehnte eine knappe Mehrheit der Bevölkerung das Paket ab. International wurde Chávez zu einer Stimme des Widerstands gegen die Hegemoniebestrebungen der USA. Als er durch einen Putsch am 11. April 2002 gestürzt wurde, gingen zu seiner Verteidigung Millionen Menschen auf die Straße und erzwangen innerhalb von 48 Stunden seine Rückkehr in das Präsidentenamt.

Der Präsident proklamierte zwar Ziele wie eine grundlegende Umstrukturierung der bislang vom Erdöl abhängigen Wirtschaft und die Förderung der Landwirtschaft, um weniger Lebensmittel importieren zu müssen. Nachhaltige Ergebnisse blieben jedoch aus, da in Zeiten hoher Erdölpreise die Sozialprogramme wie die kostenlose Gesundheitsversorgung, kostenfreie Schul- und Hochschulbildung, staatlich subventionierte Lebensmittelgeschäfte und andere, auch ohne radikale Eingriffe in die Ökonomie, möglich waren. Dadurch behielt die nationale Bourgeoisie Venezuelas, deren Aktivitäten sich in erster Linie auf den Handels- und Finanzbereich konzentrieren, Einfluss auf die Wirtschaft des Landes. Nicolás Maduro wirft wie schon sein Vorgänger Chávez den Konzerneignern zwar vor, durch einen Wirtschaftskrieg den revolutionären Kurs abwürgen zu wollen; wirksame Maßnahmen dagegen unterließen jedoch beide.

Chávez musste 2012 in seinem letzten Wahlkampf einräumen, dass Venezuela noch von kapitalistischen Strukturen geprägt sei. Diese zu überwinden sei das Hauptziel der kommenden Jahre. Maduro, der nach Chávez’ Tod am 5. März 2013 das höchste Staatsamt übernahm, ist dem jedoch bisher nicht nähergekommen. Angesichts eines dramatischen Verfalls der Erdölpreise sowie der schwersten Dürre seit fünf Jahrzehnten ist sein Handlungsspielraum zuletzt massiv geschrumpft. Die rechte Opposition hofft auf den Sturz der Regierung noch in diesem Jahr.