»Occupy« weltweit

Mit spektakulären Besetzungsaktionen haben Chiles Schüler und Studenten am Donnerstag (Ortszeit) eine neue Protestwelle begonnen, mit der sie den Druck auf die Regierung von Staatschef Sebastián Piñera aufrechterhalten wollen, endlich einen Kurswechsel in der Bildungspolitik des südamerikanischen Landes einzuleiten. Studentenführerin Camila Vallejo unterstrich: »Wir wollen aufrütteln und für unsere Sache werben.« Dazu unterbrachen die Studenten am Donnerstag in Valparaíso das Programm des Fernsehsenders der örtlichen Katholischen Universität. Der Sprecher der Studentenvertretung dieser Hochschule, Felipe Garrido, erläuterte gegenüber junge Welt, daß man so gegen die Berichterstattung in den chilenischen Medien protestieren wolle. Diese hätten die friedlichen Proteste kriminalisiert. »Es ist unser Recht und unsere Pflicht, den öffentlichen Raum zu besetzen, um den Bürgern zu zeigen, daß wir weiterhin für bessere Bildung kämpfen wollen und dabei friedlich vorgehen«, unterstrich Garrido. Die Polizei sah das erwartungsgemäß anders und nahm etwa 30 Teilnehmer der Aktion im Fernsehsender fest. An den Protesten in der Hafenstadt hatten sich zuvor etwa 600 Schüler und Studenten beteiligt, obwohl diese von den Behörden nicht genehmigt worden waren.

Auch in der Hauptstadt Santiago gab es verschiedene Aktionen. So blockierte eine Gruppe kurzzeitig den Verkehr auf der wichtigsten Hauptverkehrsstraße, während etwa 400 Menschen versuchten, in das Gebäude des Bildungsministeriums einzudringen. Nachdem die Intensität der Proteste nach dem 48stündigen Streik am 19. und 20. Oktober zunächst abgeflaut war, dürfte es auch in den nächsten Tagen wieder zu mehr und größeren Aktionen kommen. So kündigte Vallejo für Anfang November erneut zwei landesweite Protesttage an.

Eine Delegation der chilenischen Studenten war zuvor nach Europa gereist, um mehrere internationale Organisationen über die Hintergründe der Proteste zu informieren. Im Gespräch mit dem britischen Rundfunk BBC berichtete Vallejo anschließend über ein Gespräch mit Stéphane Hessel, dem Autor des Buchs »Empört euch!«. Dieser habe die chilenischen Jugendlichen aufgefordert, ihre Ideen weltweit und über alle Medien zu verbreiten. Trotzdem sieht Vallejo ihre Kampagne nicht als Teil der internationalen »Occupy«-Bewegung. »Die chilenische Studentenbewegung ist keine spontane, sondern ein langer Prozeß, der sich auf eine tiefgreifende Analyse der Ungerechtigkeit stützt, die in Chile herrscht. Wir verstehen den Kampf der Empörten, aber in Chile sind wir über die Phase der Unzufriedenheit hinaus.«

Die »Occupy«-Bewegung selbst sieht sich vor allem in den USA zunehmendem Druck ausgesetzt. So war am Dienstag bei der Räumung eines Protestcamps in der kalifornischen Stadt Oakland ein Teilnehmer durch eine Polizeikugel schwer verletzt worden. Der frühere US-Soldat, der zwei Einsätze im Irak hinter sich hat, schwebte am Freitag noch immer in Lebensgefahr, die Ärzte beurteilten seinen Zustand als kritisch. Mit Mahnwachen und Kundgebungen protestieren die »Empörten« seither gegen die Staatsgewalt.

Auch in Deutschland wollen die »Occupy«-Aktivisten ihre Aktionen fortsetzen. Für Samstag kündigten sie Demonstrationen unter anderem in Frankfurt, Berlin und Hamburg an.

Verfasst gemeinsam mit Marinela Potor, Santiago de Chile. Erschienen am 29. Oktober 2011 in der Tageszeitung junge Welt