»Nicaragua erhält Hilfe aus aller Welt«

Ein Gespräch mit Wolfgang Herrmann, Vorsitzender des Vereins Nueva Nicaragua e.V.

In den 80er Jahren war Solidarität mit Nicaragua ein Topthema der Politik. Was ist davon heute geblieben?

Damals gab es noch das sozialistische Lager. Heute lebt sie hierzulande in Städtepartnerschaften und Vereinen. In Monimbo gibt es ein SOS-Kinderdorf. Das Deutsch-Nicaraguanische Krankenhaus wird unterstützt. Junge Leute waren in den vergangenen Jahren als Helfer im Land. Es ist also etwas geblieben.

In den 80er Jahren wurden mit Berndt Koberstein und Tonio Pflaum auch zwei deutsche Aktivisten von den »Contras« ermordet. War ihr Tod vergebens?

Niemals! Wer Trinkwasser zu den Armen bringt, wird nicht vergessen. In Matagalpa tragen eine Schule und ein Kindergarten den Namen von Berndt Koberstein. Der Wiwili-Verein aus Freiburg organisierte zu seinem Todestag eine Gedenkveranstaltung.

Seit 2006 reagiert die FSLN wieder Nicaragua. Trotzdem gibt es heute keine ähnliche Solidarität mit dem Land wie damals. Wie erklären Sie sich das?

Die Welt sieht heute anders aus. Die Solidarität mit Nicaragua hat sich von Europa in andere Regionen verschoben. Das Land gehört zu ALBA und zur Rio-Gruppe. Miguel d’Escoto war Präsident der UN-Vollversammlung. Heute ist Mirna Cunningham Präsidentin des Ständigen Forums für Indigenenangelegenheiten der Vereinten Nationen. Das 17. Forum von Sao Paulo, das im Mai in Managua stattfand, erklärte dem nicaraguanischen Volk seine Solidarität. Es erhält Hilfe aus aller Welt, angeführt von Kuba und Venezuela, bei der Alphabetisierung, im Gesundheitswesen, bei landwirtschaftlichen Projekten, im Wohnungs- und Straßenbau sowie auf dem Energiesektor.

Ihr Verein Nueva Nicaragua e.V. setzt sich für die Unterstützung der Sandinisten ein. Was tun Sie konkret?

Er ging 2007 aus dem Freundeskreis Nicaragua Libre hervor. Wir halten Vorträge und geben monatlich die Zeitschrift Informe heraus. Auf unserer Internetseite informieren wir über unsere Aktionen. Seit Jahren nehmen wir an der »Fiesta de la Solidaridad« in Berlin und am Friedensfest in Graal-Müritz teil.

Sie selbst berieten in den 80er Jahren die FSLN. Wie entwickelte sich die Organisation seit damals?

Im Juli feierte die FSLN ihren 50. Geburtstag. 1979 kam sie über den bewaffneten Kampf an die Macht, 2006 über die Wahlen. In den 80er Jahren war das sozialistische Lager ihr Verbündeter. Nach der Wahlniederlage 1990 mußte sie neue Verbündete suchen. Auf ihrem zweiten Kongreß 2003 gab sich die FSLN ein neues Programm, das das Programa Histórico von 1969 ablöste. Die FSLN formulierte darin zum ersten Mal, daß sie den Weg zum Sozialismus beschreiten will. Die FSLN änderte ihre Organisationsform, behielt aber ihr revolutionäres Projekt bei.

Welche Rolle spielt die Sandinistische Erneuerungsbewegung (MRS)?

Auf ihrem 1. Kongreß 1991 mußte sich die FSLN entscheiden, ob sie eine traditionelle oder revolutionäre Partei werden will. Der revolutionäre Flügel um Daniel Ortega setzte sich durch und der unterlegene Flügel gründete die MRS, die mittlerweile ins neoliberale Lager abgeglitten ist. Vor der Wahl 2006 ging die MRS in Miami mit den Liberalen einen Deal ein. Danach zerstritt sie sich intern. Nur in einem ist man sich noch einig: Alle gegen die FSLN! Für die Wahl am 6. November schloß die MRS deshalb ein Bündnis mit der Unabhängigen Liberalen Partei, die den Präsidentschaftskandidaten stellt.

Wie schätzen Sie die bevorstehenden Wahlen ein?

Ich denke, daß der Wahlsieg der FSLN und Daniel Ortegas unter normalen Bedingungen nicht gefährdet ist. Das wollen die innere Oligarchie und die äußere Reaktion verhindern. Schon 2009 wollten sie in Nicaragua zur honduranischen Lösung greifen (gemeint ist der Putsch gegen Präsident Zelaya 2009 – d.Red.). Gefahren drohen von inneren Provokationen, um ein Eingreifen von außen zu rechtfertigen. Die Liberale Allianz ALN hat bereits angefangen und in einem Brief die anderen rechten Parteien aufgerufen, die Wahl auszusetzen.

Alles andere als ein Sieg der FSLN hätte für das Volk tragische Folgen. Die Alternative wäre der Rückfall in neoliberale Zeiten. Solidarität mit Nicaragua bedeutet Unterstützung des revolutionären Projekts, der sozialen Programme, der Teilnahme an ALBA und des Ausbaus der direkten Demokratie.

Erschienen am 16. August 2011 in der Tageszeitung junge Welt