»Lange und feste Brüderschaft« – Russland wieder einer der wichtigsten Partner Kubas

Fast war es wieder so wie früher, als der kubanische Präsident Raúl Castro im Januar 2009 seinen russischen Amtskollegen Dmitri Medwedew in Moskau besuchte. Ganz traditionell mit Brot und Salz hatte der russische Staatschef seinen Gast in einem Landhaus nahe Moskau empfangen und ihm einen Dokumentarfilm über die Teilnahme Fidel Castros am 27. Parteitag der KPdSU 1986 gezeigt. In den Beziehungen zwischen der Insel und dem eurasischen Riesenland herrscht wieder Tauwetter, beide Seiten wollen an die intensive Zusammenarbeit anknüpfen, die das Verhältnis zwischen Kuba und der damaligen Sowjetunion rund dreißig Jahre lang geprägt hatte.

Am 1. Januar 1959 hatte in Kuba die Revolution gesiegt, der Diktator Fulgencio Batista floh in die Dominikanische Republik. Doch dem mächtigen Nachbarn USA waren die bärtigen Rebellen nicht geheuer, die sich nun im Havana Hilton, dem heutigen Habana Libre, einquartierten und die Regierung übernahmen. Der kubanische Journalist Nicanor León Cotayo erinnert in seinem Buch »Sitiada la esperanza« (Die Hoffnung belagert) daran, dass gerade einmal zehn Tage nach dem Sieg der Revolution der bis dahin amtierende US-Botschafter in Havanna, Earl T. Smith, seinen Rücktritt erklärte und von Präsident Eisenhower als jemand gewürdigt wurde, der »dort mit Würde und Einsatz gedient« habe. Mit Blick auf die Verfahren gegen die Verantwortlichen der unter der Batista-Diktatur begangenen Verbrechen warfen US-Abgeordnete der neuen kubanischen Regierung ein »Blutbad« und »Polizeistaatsmethoden« vor. In Havanna antwortete ihnen Fidel Castro: »Die Nordamerikaner machen sich jetzt Sorgen über die Prozesse und die Erschießungen, aber Batista tötete ohne Prozesse, und darum haben sich die Nordamerikaner keine Sorgen gemacht. Aber jetzt fangen sie an zu schreien.« Er erinnerte daran, dass die Folterer der Diktatur von der US-Militärmission ausgebildet und angeleitet worden waren, und betonte: »Ich muss vor keinem Kongressabgeordneten der Vereinigten Staaten und vor keiner ausländischen Regierung Rechenschaft ablegen!«

Eine Frechheit im eigenen Hinterhof! Washington begann immer offener, die neue kubanische Regierung zu bekämpfen. Bereits am 22. Januar 1959, drei Wochen nach dem Sieg der Revolution, tauchte das Thema einer Wirtschaftsblockade der Insel durch Washington in der öffentlichen Diskussion auf. Im November 1959 übte Washington Druck auf die britische Regierung aus, damit diese keine Flugzeuge an Havanna verkaufte, zu einem Zeitpunkt also, zu dem die Sowjetunion noch keine Beziehungen zum revolutionären Kuba aufgenommen hatte. Erst im Februar 1960 besuchte mit Anastas Mikojan ein hochrangiger sowjetischer Vertreter die Insel.

Dieser Besuch bedeutete einen Wendepunkt, denn angesichts der immer deutlicheren Blockadeabsichten der USA sprang die Sowjetunion ein und begann, Kuba wirtschaftlich zu unterstützen, zum Beispiel durch Erdöllieferungen. Die zu diesem Zeitpunkt in Kuba noch immer allgegenwärtigen anglo-amerikanischen Ölkonzerne Texaco, Esso und Shell weigerten sich jedoch, das sowjetische Erdöl zu verarbeiten und auf der Insel zu vertreiben. Zugleich kürzte Washington die kubanische Zuckerquote, also die von den USA garantierte Abnahmemenge des wichtigsten kubanischen Exportproduktes. Fidel Castro warnte Washington daraufhin, dass die USA in Gefahr gerieten, ihr gesamtes Eigentum auf der Insel zu verlieren. Als dann am 29. Juni die ersten beiden sowjetischen Tanker in Kuba anlegten, ordnete die kubanische Regierung die Besetzung der nordamerikanischen Erdölraffinerien an und übernahm die Produktion in eigener Regie. Als die USA daraufhin die Abnahme kubanischen Zuckers komplett einstellten, unterzeichnete Fidel Castro eine Gesetzesänderung, durch die eine Enteignung allen US-amerikanischen Besitzes auf der Insel ermöglicht wurde.

Im Wechselspiel zwischen US-Aggression, kubanischer Reaktion und sowjetischer Unterstützung entwickelte sich Kuba zum entscheidenden Verbündeten Moskaus in der westlichen Hemisphäre. Trotzdem blieben die kubanisch-sowjetischen Beziehungen nicht frei von Belastungen. 1962 stationierte die Sowjetunion Raketen auf Kuba, die einen Schutz der Insel vor weiteren Überfällen der USA gewähren sollten. Washington reagierte jedoch mit offenen Kriegsdrohungen und ordnete eine Seeblockade der Insel an. Nach dramatischen Tagen bot Moskau am 26. Oktober 1962 den Rückzug der Raketen an. Im Gegenzug sicherte Washington zu, keine weitere Invasion Kubas zu unternehmen und auch keinen von exil-kubanischen Kräften durchgeführten Überfall zu unterstützen, wie es 1961 bei der von den Kubanern zurückgeschlagenen Invasion in der Schweinebucht der Fall gewesen war. Für Fidel Castro war diese Vereinbarung jedoch eine Beleidigung, denn zwei Supermächte hatten hinter dem Rücken der Regierung über Kuba verhandelt. Die sowjetische Regierung bekam den Unmut Havannas zu spüren, die Beziehungen kühlten sich merklich ab.

Obwohl sich die von beiden Seiten benötigte Allianz später natürlich wieder stabilisierte, verfolgte Kuba auch weiterhin eine eigenständige Außenpolitik. Die Insel blieb Mitglied der Bewegung der blockfreien Staaten und unterstützte auch solche revolutionären Kräfte, die nicht unbedingt das Wohlwollen der Sowjetunion oder der jeweiligen kommunistischen Parteien im Land genossen. Besonders wichtig wurde die kubanische Unterstützung für Angola. Von Herbst 1975 bis Mai 1991 half die Insel der revolutionären angolanischen Regierung sowohl mit umfangreicher ziviler Unterstützung als auch mit Tausenden von Soldaten, die an der Seite der angolanischen Volksbefreiungsbewegung MPLA und von Kämpfern der namibischen Befreiungsbewegung SWAPO Invasionen des südafrikanischen Rassistenregimes zurückschlugen. Die militärischen Erfolge dieses antiimperialistischen Bündnisses in Angola gelten als ein wichtiger Beitrag zur Unabhängigkeit Namibias und letztlich auch zum Sturz der Apartheid in Südafrika.

Die schwerste Bewährungsprobe musste Kuba jedoch im eigenen Land bestehen. Am 26. Juli 1989 warnte Fidel Castro in seiner Rede zum Jahrestag des Sturms auf die Moncada-Kaserne: »Wenn wir morgen oder irgendeines Tages mit der Nachricht aufwachen, dass in der UdSSR ein großer Bürgerkrieg ausgebrochen ist oder wir sogar mit der Nachricht aufwachen, dass sich die UdSSR aufgelöst hat, was hoffentlich niemals geschehen wird, auch unter diesen Umständen werden Kuba und die Kubanische Revolution weiter kämpfen und weiter Widerstand leisten!«

Keine anderthalb Jahre später war es soweit, die Sowjetunion verschwand von der Landkarte. Der Zusammenbruch des sozialistischen Lagers traf Kuba hart. Die deutsche Bundesregierung kündigte alle Lieferverpflichtungen der DDR gegenüber Kuba, darunter die Lieferung von Milchpulver für die Kinder der Insel. Das neu entstandene Russland unter Boris Jelzin brach praktisch alle Handelsbeziehungen mit Kuba ab, die Insel verlor 85 Prozent ihres Außenhandels. Die USA verschärften die Blockade noch weiter, und in Miami packten die Konterrevolutionäre ihre Koffer und warteten jeden Tag auf die Nachricht vom Sturz Fidel Castros. Doch das Ende kam nicht, es wurde vielmehr zu einem Neuanfang.  Trotz extrem schwerer Jahre, der »Spezialperiode«, bewahrte Kuba seine sozialistische Orientierung und kämpfte eisern um die Bewahrung möglichst vieler Errungenschaften der Revolution. Das Gesundheitssystem der Insel blieb beispielhaft, Schulen und Kindergärten blieben bestehen, das Wenige wurde so gerecht wie möglich verteilt.

Heute, knapp zwanzig Jahre später, hat sich die Situation grundlegend gewandelt. Kuba ist nicht mehr allein, sondern gilt fortschrittlichen Regierungen in Venezuela, Bolivien, Nicaragua, Ecuador und anderswo als Vorbild und Ansporn. Beim Amerika-Gipfel im April in Trinidad und Tobago waren sich alle Länder Lateinamerikas und der Karibik einig in der Forderung an die USA, endlich die Blockade aufzuheben. Und auch Russland hat sich wieder verändert. Unter Putin und jetzt unter Medwedew wurde der zügellose Ausverkauf des Landes an Oligarchen und ausländische Konzerne gebremst. Moskau hat zu einer eigenständigen, selbstbewussten Außenpolitik zurückgefunden. Das spiegelt sich auch in den Beziehungen zu Lateinamerika wider. Am 27. November 2008 traf der russische Präsident Dmitri Medwedew zu einem »Arbeitsbesuch« in Havanna ein und wurde von Raúl Castro empfangen. Beide Staatschefs hoben die »lange und feste Brüderschaft« zwischen beiden Völkern hervor, und Medwedew kündigte eine Zunahme der russischen Investitionen auf der Insel an. Im Januar folgte dann der Gegenbesuch von Raúl Castro in Moskau.

Erschienen im Juli 2009 in der Broschüre des Berliner Büros Buchmesse Havanna