Richtungsstreit in Caracas

Venezuelas Regierungspartei PSUV will Ende Juli in Caracas zu ihrem dritten Parteitag zusammenkommen – dem ersten nach dem Tod ihres Gründers Hugo Chávez. In Tausenden Grundorganisationen der Partei, den »Kampfeinheiten Hugo Chávez« (UBCH), wurden Anfang Juni die Delegierten gewählt, die ab dem 26. Juli die offiziell mehrere Millionen Parteimitglieder vertreten sollen. Entschieden werden soll unter anderem über die neue PSUV-Führung, die bislang weitgehend identisch mit der Regierungsmannschaft ist. Kaum Zweifel gibt es daran, daß Venezuelas Präsident Nicolás Maduro dann auch in der PSUV die Nachfolge des am 5. März 2013 verstorbenen Chávez antreten wird. Geht es nach der Regie, soll es ein »Kongreß der Einheit« werden. Der Parteitag werde die Geschlossenheit der revolutionären Bewegung um Maduro bekräftigen, kündigte der frühere Informationsminister Ernesto Villegas im staatlichen Fernsehen VTV an.

 

Vielen Basisgruppen brennt jedoch unter den Nägeln, Fälle der Korruption im Regierungsapparat zu diskutieren. So wurde in der vergangenen Woche bekannt, daß die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die frühere Gesundheitsministerin Eugenia Sader eingeleitet habe. Ihr werden demnach Unterschlagung und Bereicherung vorgeworfen.

Zudem verschärft die schwierige wirtschaftliche Lage des Landes den in der Partei ausgetragenen Linienstreit. Während die Regierung – nicht unberechtigt – Sabotage durch die rechte Opposition für das zeitweilige Fehlen bestimmter Waren in den Supermärkten oder ähnliche Erscheinungen verantwortlich macht, wird der Ruf nach konkreten Gegenmaßnahmen lauter. Unklar ist jedoch, in welche Richtung diese zielen sollen. Führende Köpfe wie Erdölminister Rafael Ramírez fordern »pragmatische« Lösungen wie eine schnelle Reform der Währungspolitik. Beim linken Flügel der bolivarischen Bewegung weckt das jedoch Befürchtungen, damit sei eine Aufweichung der sozialistischen Orientierung verbunden. So unterstrich der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV), Oscar Figuera, bei der wöchentlichen Pressekonferenz seiner Organisation am vergangenen Montag in Caracas, daß die Entwicklung der Produktivkräfte des Landes notwendig sei. Diskutiert werden müsse jedoch, mit welchem Inhalt dies erfolgen solle: »Damit, dem Kapital freie Hand bei der Ausbeutung und Enteignung des von den Arbeiterinnen und Arbeitern geschaffenen Mehrwerts zu lassen? Oder durch die Beteiligung der Arbeiter an einem Prozeß gesellschaftlicher Kontrolle?« Die PCV fordert, die politische Macht in den Betrieben an sozialistische Arbeiterräte zu übertragen.

Für besondere Aufregung sorgte ein Brief des erst Anfang Juni aus dem Amt geschiedenen Planungsministers Jorge Giordani, der am 17. Juni von zahlreichen venezolanischen Medien veröffentlicht wurde. In diesem mehrseitigen Schreiben kritisiert Giordani, der seit der erstmaligen Wahl von Hugo Chávez zum Präsidenten 1998 fast durchgehend führende Ämter in dessen Kabinett ausgeübt hatte, den von Maduro vollzogenen »Bruch« mit der bisherigen Politik. Der Staatschef übe keine Führungsrolle aus, sondern wiederhole lediglich von Chávez formulierte Vorschläge, ohne diese in ein entsprechendes Umfeld zu stellen. Dadurch habe sich das Machtzentrum vom Präsidenten weg in das Finanzministerium und in die Zentralbank verlagert, wo zudem eine französische »Beraterfirma« ihr Unwesen treibe. Auch der staatliche Erdölkonzern PDVSA sei der Steuerung durch die Regierung entglitten.

Maduro schlug öffentlich zurück und warf seinem langjährigen Mitstreiter »Verrat« vor. Bei einer Militärparade aus Anlaß des 193. Jahrestags der »Schlacht von Carabobo« 1821, bei der die venezolanische Befreiungsarmee endgültig die Truppen der spanischen Kolonialmacht besiegen konnte, rief Maduro am Dienstag zur Einheit und größtmöglichen Disziplin gegen die Kräfte auf, die Venezuela zersetzen wollten. Einige dieser Gruppierungen würden von den USA unterstützt, um Chaos und Gewalt zu provozieren. Andere jedoch versuchten, in die Reihen des Volkes und der revolutionären Bewegung einzudringen, um diese zu schwächen, so wie vor 200 Jahren die Generäle Simón Bolívars nach der Unabhängigkeit Venezuelas dem Befreier den Rücken gekehrt und das Land den US-Konzernen ausgeliefert hätten.

Erschienen am 27. Juni 2014 in der Tageszeitung junge Welt