Respekt vor dem Marxismus

Die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) hat begonnen, in der Online-Ausgabe ihrer Wochenzeitung "Tribuna Popular" eine Reihe von Artikeln zu veröffentlichen, in denen die Bedeutung des Marxismus-Leninismus unterstrichen wird, darunter Che Guevaras Aufsatz "Über die marxistisch-leninistische Partei" und Fidel Castros Rede zum 100. Geburtstag von Lenin am 22. April 1970. Damit möchte die Redaktion des Parteiorgans "einen Beitrag zu der sich entwickelnden Diskussion über die Gültigkeit des Marxismus-Leninismus als revolutionärer Theorie leisten", wie es in einem Kommentar heißt.

Ausgelöst wurde diese Diskussion von Venezuelas Präsident Hugo Chávez, der in der Fernsehsendung "Aló, Presidente" erklärt hatte, "Unser Sozialismus muss christlich und bolivarianisch sein, nicht marxistisch-leninistisch". Chávez betonte aber, er respektiere den Marxismus und hob hervor, dass eine der größten Leistungen Marx´ gewesen sei, aus dem utopischen Sozialismus ein wissenschaftliches Konzept zu entwickeln. Rosa Luxemburg zitierend unterstrich Chávez, für das Überleben der Menschheit sei es notwendig, den Kapitalismus zu überwinden und den Sozialismus aufzubauen. Trotzdem sei er kein Marxist, denn Marx habe sich nicht von einer eurozentristischen Sichtweise lösen können: "Wir, die Kolonisierten, haben für ihn nicht existiert." Marx sei dabei selbst manipuliert und betrogen worden.

In diesem Zusammenhang räumte Chávez erstmals ein, dass es gute Gründe geben könnte, nicht der neuen Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV) beizutreten, sondern sich einer anderen Organisation anzuschließen: "Wenn die Kommunistische Partei weiter dem Ansatz des Marxismus-Leninismus folgen will, dann werde ich mit ihnen nicht streiten." Die Sozialistische Partei solle jedoch nicht "die Banner des Marxismus-Leninismus aufnehmen", sondern eine eigene Doktrin entwickeln. Trotzdem rief er die PCV und die sozialdemokratisch orientierten Parteien Podemos und PPT auf, sich der neuen Partei anzuschließen, deren Gründungsparteitag im September beginnen soll.

Scharf kritisierte Chávez auch die in vielen europäischen Medien verbreiteten Lügen und Halbwahrheiten über Venezuela. Heute gebe es in Europa Zeitungen, so Chávez, die sich als links bezeichnen und trotzdem behaupten, dass in Venezuela eine Diktatur herrsche: "Sie nennen sich fortschrittlich, aber sie können sich nicht von der euro-zentristischen, rassistischen Sichtweise auf uns lösen." Er begrüßte im Studio einen jungen Franzosen, der nach Venezuela gekommen war, um sich mit eigenen Augen ein Bild von der Realität des Landes zu machen. "Im Gegensatz zu Frankreich gibt es hier eine sozialistische Revolution durch das Volk", sagte der Gast und fuhr fort: "Das, was uns die Zeitungen erzählen, ist das Gegenteil dessen, was ich hier in Venezuela sehen kann."

Erst vor wenigen Tagen hatte der scheidende Verteidigungsminister, General Raúl Baduel, bei der Übergabe des Amtes an seinen Nachfolger, General Gustavo Reyes Rangel, kritisiert, frühere Versuche, eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen, seien als "Staatskapitalismus" geendet. Der venezolanische Sozialismus müsse diese Fehler vermeiden: "Das Sozialismus-Modell, das wir entwickeln, muss so sein, dass es uns zuerst den sozialistischen Weg zur Produktion und Schaffung von Reichtum zeigt und danach eine gleichmäßige Verteilung dieses Reichtums unter denen, die ihn geschaffen haben, erlaubt, oder wie Marx sagte: ´Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen."

Erschienen in der Wochenzeitung UZ – Unsere Zeit vom 10. August 2007