Venezuela-Magazin, Nullnummer vom 15. November 2008

Regionalwahlen: Die Macht von unten

Venezuela-Magazin, Nullnummer vom 15. November 2008Am 23. November entscheiden die Menschen in Venezuela zum dritten Mal seit der Annahme der neuen Verfassung von 1999 über die Gouverneure und die Mitglieder der Gesetzgebenden Räte der Bundesstaaten sowie die Bürgermeister der Regierungsbezirke. Zur Wahl steht außerdem der Oberbürgermeister der Hauptstadt Caracas.

Nach dem derzeitigen Stand bewerben sich insgesamt 17.308 Kandidatinnen und Kandidaten um die 603 zu vergebenen Ämter. 59 landesweite und 236 regionale Parteien sowie 491 Wählervereinigungen haben ihre Vertreterinnen und Vertreter nominiert oder offiziell ihre Unterstützung für Repräsentanten anderer Organisationen erklärt. Eine in Deutschland unbekannte Besonderheit venezolanischer Wahlen ist nämlich, dass Parteien auf das Aufstellen eigener Kandidaten verzichten können, aber dennoch auf den Stimmzetteln erscheinen, so dass nach der Wahl sichtbar ist, wie viel die verschiedenen politischen Kräfte zum Erfolg oder Misserfolg eines Kandidaten beigetragen haben. Eine Zersplitterung der politischen Alternativen wird so zugleich vermieden, wie besonders die Präsidentschaftswahlen immer wieder zeigen, wo sich oftmals zwei große Lager herauskristallisieren.

Zugleich wird auch offiziell von den Parteien erwartet, sich an den Wahlen zu beteiligen. Wenn eine Partei mehrfach landesweite Wahlen ignoriert oder boykottiert, kann die oberste Wahlbehörde Venezuelas, der Nationale Wahlrat (CNE), die Organisation aus dem Parteienverzeichnis streichen, so dass sich diese neu registrieren muss. Diese Regelung ist vergleichbar mit den Bestimmungen des deutschen Parteiengesetzes, wonach politische Parteien mindestens alle fünf Jahre bei einer bundesweiten oder Landtagswahl angetreten sein müssen, wenn sie nicht die (zum Beispiel steuerrechtlichen) Privilegien verlieren wollen, die mit ihrem Status als Partei verbunden sind.

Mit einer anderen Regelung soll in Venezuela der Kampf gegen Korruption und Amtsmissbrauch unterstützt werden. Der Rechnungshof (Contraloría General) hat die Möglichkeit, Beamten und gewählten Vertretern die Übernahme öffentlicher Ämter für mehrere Jahre zu untersagen, wenn sie sich bei der Verwaltung öffentlicher Mittel Unregelmäßigkeiten haben zuschulden kommen lassen. Wenn die Betroffenen gerade Wahlfunktionen ausüben, tritt eine solche Sanktion mit Auslaufen der jeweiligen Legislaturperiode in Kraft.

Bei den Regionalwahlen 2008 sind rund 250 Personen von solchen Maßnahmen betroffen, die deshalb vom Nationalen Wahlrat nicht als Kandidaten zugelassen werden konnten. Einer Untersuchung der unabhängigen Tageszeitung „Últimas Noticias“ zufolge gehören rund die Hälfte der betroffenen Politiker der Opposition und die andere Hälfte dem Regierungslager an. Dabei stützt sich die Contraloría auf ein Gesetz aus dem Jahr 2001, das damals einstimmig in der Nationalversammlung angenommen wurde – auch von der damals stark im Parlament vertretenen Opposition. Diese hat in der Vergangenheit auch mehrfach die Anwendung des Gesetzes gefordert und es begrüßt, wenn hohe Funktionäre der Regierung von solchen Maßnahmen betroffen wurden.  Das Gesetz von 2001 stützt sich übrigens auf ähnliche Regelungen in früheren Gesetzen, wie sie zum ersten Mal 1975 – also vor mehr als drei Jahrzehnten! – unter der Regierung des Sozialdemokraten Carlos Andrés Pérez verabschiedet wurden.

Trotzdem haben Teile der Opposition die Nichtzulassung einiger Kandidaten als Versuch der Regierung dargestellt, die Opposition zu unterdrücken. Leider fanden sie dabei auch bei einigen Gesinnungsfreunden in Europa Anklang, die im Europaparlament eine Erklärung dazu verabschiedeten. Allerdings stimmten nur 55 der insgesamt 783  Europaabgeordneten für den Antrag, während Sozialdemokraten, Grüne und Linksfraktion es ablehnten, über einen Antrag abzustimmen, der sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes einmischt.

Der Wahlausgang ist in diesem Jahr offener als vor vier Jahren, als die Regionalwahlen noch stark von dem im August 2004 durchgeführten Referendum über eine vorzeitige Amtsenthebung des Präsidenten Hugo Chávez geprägt gewesen waren, das dieser mit großer Mehrheit gewonnen hatte. In der Opposition zeigten sich damals  Zerfallserscheinungen, zahlreiche Oppositionelle zogen ihre aussichtslos gewordenen Kandidaturen zurück, so dass oppositionelle Parteien nur noch in zwei Bundesstaaten den Gouverneur stellen konnten.

Die Regionalwahlen in Venezuela werden stark von örtlichen Fragen und Bedingungen bestimmt, wie es auch bei Landtagswahlen in Deutschland meistens der Fall ist. Das zeigt sich schon bei den von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlichen Bündnissen und Allianzen und wird sich vermutlich auch bei den Wahlergebnissen widerspiegeln. So ist es weder der Opposition noch der revolutionären Bewegung überall gelungen, einheitliche Kandidaten für ihre Richtung zu nominieren. Eine Rolle als Zünglein an der Waage können mancherorts auch regionale Parteien spielen, die sich um spezifische Fragen ihrer Bundesstaaten oder Bezirke gebildet haben. Zugleich ist natürlich auch dieser Wahlkampf geprägt von dem revolutionären Prozess umfangreicher Veränderungen, den Venezuela seit zehn Jahren erlebt. Obwohl Präsident Hugo Chávez selbst nicht zur Wahl steht, ist seine Politik für viele Wählerinnen und Wähler das entscheidende Argument, einem Kandidaten oder einer Kandidatin die Stimme zu geben.

Die bei den Regionalwahlen gewählten Gouverneure, Bürgermeister und Ratsmitglieder werden ihr Amt bis zu den nächsten Wahlen im Jahr 2012 ausüben.

Erschienen am 15. November 2008 im Venezuela-Magazin