Regierungskrise in Sitges

Wenn man die Touristen nicht mitzählt, hat Sitges knapp 30000 Einwohner. Der 36 Kilometer südlich von Barcelona gelegene Ort wurde bislang von einer brüchigen Koalition aus der bürgerlichen CiU und der rechten Volkspartei (PP) regiert. Es konnte als faustdicke Überraschung gelten, daß das Bündnis seit den Kommunalwahlen 2011 gehalten hat – denn inzwischen sind sich CiU und PP spinnefeind. Die auf mehr regionale Eigenständigkeit setzende CiU regiert Katalonien, und unter dem Druck der Unabhängigkeitsbewegung setzt sich der Präsident der autonomen Region, Artur Mas, für eine Volksabstimmung ein, an deren Ende die Loslösung Kataloniens von Spanien stehen könnte. Das aber will die PP, die mit Mariano Rajoy den spanischen Ministerpräsidenten stellt, auf jeden Fall verhindern. Die Mitte der 70er Jahre ursprünglich von führenden Köpfen der Franco-Diktatur gegründete Partei pocht auf die in der Verfassung festgeschriebene »Unteilbarkeit« des spanischen Staates.

 

Die Konfrontation zwischen den beiden Kräften hat nun auch in Sitges zum Bruch der örtlichen Koalition geführt. Zum Anlaß nahm die dortige PP die Entscheidung von Bürgermeister Miquel Forns, die Carrer d’Espanya und die Plaça d’Espanya – also die Spanienstraße und den Spanienplatz – umzubenennen. Künftig sollen beide Örtlichkeiten Namen mit lokalem Bezug tragen. Die Initiative zu der Umbenennung war von der Kandidatur der Volkseinheit (CUP) ausgegangen, einem Bündnis der radikalen Linken, das entschieden für die Trennung von Spanien eintritt. Bei den Wahlen 2012 war die CUP erstmals in das katalanische Parlament eingezogen.

Dort stellt die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) inzwischen nach der CiU die zweitstärkste ­Fraktion. Mas ist auf die Tolerierung durch diese Partei, die die Unabhängigkeit als programmatisches Ziel festgeschrieben hat, angewiesen. Zur Bedingung für die Wahl des Regierungschefs hatte die ERC gemacht, im Jahr 2014 die Volksabstimmung über die Bildung einer eigenständigen Katalanischen Republik durchzuführen. Auf diesem Datum beharrt die Partei, weil sich dann der Verlust der Selbstverwaltung Kataloniens zum 300. Mal jährt. Am 11. September 1714 hatten die spanischen Truppen am Ende des Erbfolgekriegs Barcelona besetzt und die bis dahin existierenden staatlichen Strukturen aufgelöst. Der 11. September wird seither als »Diada Nacional de Catalunya«, als zentraler Feiertag Kataloniens, begangen. Im vergangenen Jahr demonstrierten an diesem Datum mehr als 1,5 Millionen Menschen für die Unabhängigkeit.

In diesem Jahr will das überparteiliche Bündnis Katalanische Nationalversammlung (ANC) die Forderung nach Unabhängigkeit durch eine 400 Kilometer lange Menschenkette bekräftigen, die von der französischen Grenze bis zur Trennlinie zwischen Katalonien und dem Land Valencia reicht. Auf beiden Seiten wird die Schlange vermutlich noch etwas darüber hinaus gehen, womit demonstriert werden soll, daß es nicht nur um das Principat, das katalanische Kernland, sondern um alle Països Catalans, alle katalanischen Länder, geht, wozu auch Valencia, die Balearen und die Region um Perpinyà (Perpignan) in Frankreich gezählt werden.

Um die Menschenkette auf voller Länge zu schließen, werden Schätzungen zufolge rund 400000 Menschen benötigt. Derzeit konzentrieren sich die Macher auf die Mobilisierung für Streckenteile in weniger dicht besiedelten Teilen Kataloniens. Mit Bussen und der Eisenbahn sollen möglichst viele Menschen aus den großen Städten in diese Regionen gebracht werden. Am Ende der am Mittwoch in Anspielung auf den Jahrestag pünktlich um 17.14 Uhr beginnenden Aktion soll ein rekordverdächtiges Megafoto stehen, das die Kette in ihrer vollen Länge abbilden soll.

Für die ERC und CUP ist klar, daß sie ihre Mitglieder zur Teilnahme an der Menschenkette aufrufen. Zögerlicher zeigt sich hingegen die CiU. Deren Spitze hatte die Organisatoren zunächst gebeten, das Motto zu ändern und nicht mehr für die Unabhängigkeit, sondern für das Recht auf Durchführung der Volksabstimmung zu demonstrieren. Nachdem das verweigert wurde, mobilisiert das bürgerliche Lager nicht offiziell für die Aktion.

Erschienen am 9. September 2013 in der Tageszeitung junge Welt